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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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bedrückt sah sie die Heilige Jungfrau an, die eine Bewegung machte, als wolle sie die schlechte Laune aus dem zerknitterten Gesicht scheuchen.
    Imre hatte die Absicht, eine schwerwiegende Behauptung zu belegen, fuhr Maria fort, nämlich dass die Geschichte eine Erscheinung sei, der sich der menschliche Intellekt nicht annähern könne, die irgendeinem geheimnisvollen Gesetz gehorche. Imres Auffassung nach ist die Geschichte grausam und wird von Mächten regiert, die für unseren Verstand und Menschenwillennicht fasslich sind! Diese Mächte nehmen keine Rücksicht auf den Menschen, sie morden oder spenden neues Leben, wenn es ihnen so gefällt, Moral, Zivilisation, edler politischer Wille lassen sie kalt!
    Das sind barbarische Ansichten, Mutter, ließ sich ein Heiliger vernehmen, und der staunende Peter erkannte, dass es Stephan war, jener Märtyrer, nach dem man den Dom benannt hatte.
    Auf einen Ruf hin trat Stille ein, die Versammlung wich ein wenig auseinander, und durch die entstandene Lücke brach erst ein Lichtstrahl, im nächsten Moment glänzte die Gestalt Jesu auf. Dem Erlöser auf dem Fuße folgte Wurm, neben ihm wackelte Blatt, hinter ihm schritt eine magere schwarzhaarige Gestalt, Gilagóg, der Welterzähler der Zigeuner. Auf seinem Arm saß blau leuchtend Habred der Wahrhaftige. Das Gesicht von Jesus war ruhig, er verbeugte sich, und mit ihm neigte sich das Kreuz, an dem er festgenagelt war. Peter packte eine eisige Furcht, als Kind hatte er den Erlöser einmal zerbrochen, den armen Jesus, und ihn dann verschludert, in die Theiß geworfen, und deswegen auch noch gelogen. Nun war die Stunde der Bestrafung gekommen!
    Nehmt mir das Ding ab!, sagte Jesus, und der Apostel Paulus griff eilfertig nach der Dornenkrone.
    Das Kreuz, ihr Tröpfe!, rief Jesus überraschend gereizt, worauf Stephan sich mit Beiß- und Flachzangen an die Arbeit machte.
    Wie recht du hast, Mutter, sagte Jesus, an Maria gewandt, und sog die Luft durch die Zähne. Nicht nur das Annageln war eine schmerzliche Prozedur, auch das Abnehmen vom Kreuz war nicht so einfach, wie es aussah, dachte Peter. Besonders dann nicht, wenn man im Widerspruch zur bekannten Geschichte mitsamt dem Kreuz auferstanden war.
    Jene unglückliche Rede, spielte Jesus auf Imre Schöns Vortrag an, hat sich − wohlgemerkt mit beträchtlichem Vergnügen − auf die These versteift, dass das uralte Schauspiel der Macht nicht zu bändigen sei.
    Der Chor der Kirchenväter an der Kanzel brauste auf, Ambrosius, Hieronymus und Augustinus sangen gemeinsam.
    Archaisch und arrogant! Archaisch und arrogant!
    Und Tragant, Tragant!, das wiederum krähte Wurm.
    Was für ein Tragant?, der Märtyrer Stephan blickte hinter dem Erlöser hervor.
    Gilagóg verneigte sich höflich, ich überbringe die Nachricht des Zigeunervolkes, wir versichern dich unserer Unterstützung, unser Herr Jesus.
    Jemand lachte auf, na so etwas, die Zigeuner helfen Jesus!
    Die Zugluft blies eine Steppenhexe zwischen ihnen hindurch, eine Bischofsmütze schwebte hinterdrein, die Kerzen verlöschten und entzündeten sich wieder von selbst, Nachtdunkel und Tageslicht wechselten einander ab, Schnee schien zwischen den Säulen zu wirbeln, gleich darauf pfiff ein warmer Frühlingswind über sie hinweg. Habreds durchdringendes blaues Licht flackerte mal stärker, mal schwächer. Mir ist diese Geschichtsbetrachtung fremd, Mutter, sagte Jesus traurig, dann seufzte er, endlich war es Stephan gelungen, das Kreuz herunterzubekommen, einige Blutstropfen fielen herab, ein Engel eilte mit dem Scheuerlappen herbei und begann aufzuwischen.
    Verzeih, wenn ich ungeduldig gewesen sein sollte! Aber jetzt gib schon her!, sagte Jesus.
    Stephan reichte ihm das Kreuz, er sah ihm ein wenig traurig nach, vielleicht hatte er gedacht, wenn er es abnahm, würde es ihm gehören.
    Maria nickte, auch mich hat die Rede traurig gemacht. Und ich kann nicht leugnen, dass mich Zorn und Unverständnis gepackt haben, als ich hörte, worüber der nichtsnutzige Schön sich verbreitete!
    Ja, Mutter, fuhr Jesus fort, solche Behauptungen sind von politischer Klarsicht weit entfernt, zudem musste ich feststellen, dass die Rede auch ästhetische Konsequenzen hat! Es ging um ein Fest, ein düsteres und verhängnisvolles Fest, Mutter! Es war Freudenfest der Irrationalität und der archaischen Gewalt, dievon keiner Vernunft gebremst werden kann, Mutter, ich glaube, das ist die Marschrichtung der Konservativen.
    Dass mir das nicht selbst eingefallen ist!,

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