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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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reden!
    Sie wissen es, und ob Sie es wissen!, Peter hieb mit der Faust mehrmals gegen die Wand, trat gegen Stühle und riss Schubladen heraus.
    Irgendwo im Haus brüllte jemand: Jetzt reicht es aber wirklich!
    Wo ist der Brief?! Er ließ sich mit seinem ganzen Gewicht auf die Frau fallen, die ihn nur anstarrte und immer älter wurde, Peter hatte das Gefühl, zu einem Monster zu reden, sie begann zu schnattern, los, Peter Schön, vögle mich, stoße dein Schwert in mich hinein, ergieße dich ganz in mich!
    Peter rüttelte sie mit aller Kraft, vielleicht hatte sie den Brief zwischen den Knochen versteckt und er könnte ihn von dort herausschütteln. Er schlug ihr mit der Faust ins Gesicht, Frau Sperl wimmerte beglückt. Ihr Knochen krachte oder ihr Holzarm.
    Töte mich nur, Peter Schön! Töte mich, töte mich!, keuchte sie ihm ins Gesicht.
    Seine Faust verharrte in der Luft. Er tötete sie nicht, er spuckte sie an. Er tötete sie nicht, ließ sie los, sollte sie auf die Erde fallen und leblos daliegen, und vielleicht trampelte er nur deshalb nicht auf ihr herum, weil sein Blick auf ein Wandgemälde fiel. Er blinzelte, Schweiß brannte ihm in den Augen. Das Bild stellte Golgatha dar, mit den bekannten Gestalten, denen er vor kurzem begegnet war, sie umstanden das Kreuz, weinten, trauerten. Er wurde auf eine mit Bleistift hingeworfene Schrift in der Ecke des Gemäldes aufmerksam.
    »Mein Grashalm gehört dir, jetzt gehört er für immer dir, Peter Schön!«
    Und die Unterschrift: Gustav Schütz!

Diese glücklichen letzten Jahre
    Peter starb 1865 in Wien, im Todeskampf hielt er den gewaltigen Haustorschlüssel umklammert, Frau Sperl nickte müde, ja, ja, wie sie es am Vortag und schon früher versprochen habe, sie werde ihn zusammen mit dem Schlüssel begraben. Nach dem Skandal im Dom und der Verhaftung seiner Gefährten unternahm Peter noch einmal eine Reise, er rettete Klara, begleitete den Doktor und die Schwerkranke nach Szeged, fuhr dann aber doch nach Wien zurück, in das Mietshaus in der Blumengasse, und kam nie wieder aus der Kaiserstadt heraus. Mit Frau Sperl hatte er noch lange wortkargen Umgang, beide verhielten sich so, als sei ihr Verhältnis von keinerlei Zwischenfall getrübt worden, und diese heuchlerische Disziplin der Enthaltsamkeit fiel ihnen mit der Zeit immer leichter. In Frau Sperls Blick kehrte das Leben zurück, an einem trüben Morgen sah sie lange und sehnsüchtig Peters noch immer respekteinflößender, aber immer schwerfälligeren Gestalt nach. Peter verschwand oft tagelang, um dann neuerlich mit zweifelhaften Figuren angerückt zu kommen, noch bei Tagesanbruch wurde fieberhaft verhandelt, dann ging alles wieder seinen alten Trott, nichts Nennenswertes ereignete sich. Einmal erhielt Peter einen Brief von Klara, er eilte sofort auf die Post, um ihr zu antworten. Dann lungerte er tagelang verträumt und gereizt in der Wohnung herum, über Frau Sperls aufdringliche Versuche, ihm gefällig zu sein, sah er mit demonstrativer Gleichgültigkeit hinweg, während die Neugier auf den Inhalt des Briefes sie verzehrte.
    Ein kleines Kind ist gestorben, sagte Peter schließlich, seine Stimme war heiser.
    Gütiger Himmel, Frau Sperl schlug ein Kreuz, was für ein kleines Kind?!
    Es ist umsonst gestorben, man muss dafür sorgen, dass es weiterlebt, Peter kratzte sich am Kopf.
    Ich verstehe nicht, flüsterte Frau Sperl.
    Macht nichts, sagte Peter, er ging fort, betrank sich, am nächsten Tag wachte er zu Mittag entkleidet auf, seine Sachen lagen zusammengefaltet neben ihm auf dem Stuhl, auf dem Nachttisch warteten ein Glas goldfarbenes Bier, Kipferl und Butter auf ihn. Und Frau Sperl hielt es für besser, nicht weiter nach dem toten kleinen Kind zu fragen.
    Peter kam etwas von seinen freigelassenen alten Freunden zu Ohren, doch die Stadt, die sich dank intensiver Bautätigkeit immer weiter ausdehnte, hatte sie verschluckt. Er hörte von Somnakaj, ach, wenn er nur nichts von ihr gehört hätte! Er begann die Wiener Friedhöfe zu besuchen. Eines Tages riss er brüllend die Tür auf, stürzte in die Hausmeisterwohnung und umarmte die leichenblasse Frau Sperl so heftig, dass er ihr fast die Knochen brach, zu stöhnen wagte sie dennoch nicht.
    Peter wurde neben dem Grab seiner Mutter beerdigt, während der Zeremonie zog ein Unwetter auf und brach über die kleine Trauergemeinde herein, Peter hätte sicher seine Freude daran gehabt, wie die paar Tagediebe zwischen den Gräbern herumstolpernd die Flucht ergriffen.

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