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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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die sich aus Lehrlingen und Handwerksburschen aus Szeged sowie betrunkenen Nationalgardisten rekrutierten, ließen die Leichen am Ufer liegen und trieben die Herde unter Geheul auseinander.
    Im von Serben und Ungarn gemeinsam bewohnten Szőreg herrschte seit dem Morgen Pogromstimmung. Die Nachricht kursierte, die Serben hätten Waffen verteilt und warteten nurauf das Zeichen zum Angriff auf die Ungarn. Viele Serben wurden erstochen oder totgeschlagen, schließlich begann das Lynchen auch in Szeged. Den Gewürzhändler János Zserovics, der seinem Mörder nicht ins Gesicht sehen konnte, erschlug man vor dem Tor seines Hauses. Der großgewachsene Mann wurde vor der serbischen Kirche angebrüllt und bis nach Haus verfolgt. Das Tor erreichte er noch, er griff nach der Klinke, doch den Schlüssel umzudrehen blieb ihm keine Zeit mehr. Der Leichnam wurde angespuckt und getreten. Da machten bereits mit Keulen und Messern bewaffnete Banden Jagd in der Stadt. Es spielte keine Rolle mehr, ob es sich bei dem Unglücklichen um einen Serben, Ungarn oder Juden handelte, wenn nur bekannt war, dass er Reichtum oder Einfluss besaß. Die Ratte soll krepieren! Sándor Szubó wurde der Schädel eingeschlagen, sein Laden durchwühlt, die Ware davongetragen, dem Rechtsanwalt Csakovácz schlug man ein Beil in den Rücken, Libovics, Lefter, Bozics und Szávics wurden samt ihren Familien hingemetzelt, und ein durchdringend kreischendes kleines Mädchen spießte man auf wie ein Spanferkel. Auf der Straße nach Deszk flohen serbische Familien auf vollgepackten Fuhrwerken, später erzählte ein zitternder blonder Junge, er habe den Mord an dem Händler Szabics gesehen, man schlitzte ihm den Hals auf, trotzdem konnte er noch bis zum Casino laufen, den Daumen auf die Wunde drückend.
    Auf den Straßen vermischte sich Gebrüll mit Wehgeschrei, der ungarische Stuhlrichter wurde von einer Kugel ins Herz getroffen, Andor Beniczky war dem Pöbel entgegengetreten, er packte den mit der Sense herumfuchtelnden Burschen am Arm, er solle endlich Ruhe geben, doch er wurde zur Seite gestoßen, jemand schlug ihm auf den Hinterkopf, der Richter machte strampelnde Bewegungen, ein Schuss krachte. Er fiel gegen die Hausmauer, stand immer noch, sein Rock schäumte an der Brust, er röchelte wie ein abgestochenes Schwein. Der Halbwüchsige gab ihm einen Stoß, nun stürzte er hin. Ein Goldgulden fiel aus seiner Jacke und rollte über das Pflaster, bis Hände danach griffen.
    Eine andere Horde plünderte das Waffenlager der Stadt. Die Wächter, zwei ängstliche junge Burschen, wurden zusammengeschlagen, der eine taumelte bis zur Ecke, dort hauchte er seine Seele aus. Der Mob raubte Gewehre, Pistolen und Schießpulver, selbst Nationalgardisten waren bereits Feinde, mehrere Soldaten, die ihre Waffen nicht hergeben wollten, wurden niedergeschlagen und mit Messern verletzt. Die Unruhen setzten sich auch in der Nacht fort.
    An diesem Tag wurde das Kind geboren.
    Es war der fünfzehnte Oktober des Jahres 1848.
    Imre hätte sich nicht ans Fenster stellen, nicht auf die Straße hinausspähen, nicht lauschen sollen, woher die Schmerzensschreie heraufdrangen, in welcher Straße Schüsse fielen. Die Schlafzimmertür stand offen, vielleicht wegen Doktor Schütz, der kurz hinausgelaufen war, um etwas zu trinken. Klara sah, dass Imre am Fenster stand und den Vorhang zur Seite gezogen hatte. Minutenlang verharrte er so, sein Blick war ruhig und aufmerksam, wie gut sie diese Haltung kannte. Er schien überhaupt keine Angst zu haben. So tief war er in Gedanken versunken, dass er vergaß, Angst zu haben. Noch am Vormittag hatte er ihr von dem unvergleichlichen Attentat des Elagabal erzählt, vielleicht sann er auch jetzt darüber nach.
    Dieser Kaiser der Antike hatte einen Cousin, der ihm nach dem Leben trachtete, umgebracht, indem er seinen Dienern befahl, die Eingänge des Festsaals zu verrammeln und Rosenblüten auf die erst erstaunte, dann verstörte Gästeschar zu streuen, in solchen Mengen, dass alle erstickten.
    Imre lächelte und drehte sich um, es lebe die Revolution!, sagte er, direkt an sie gewandt.
    Es tut sehr weh, es tut sehr weh, flüsterte Klara.
    Träume nur!, nickte er.
    Ich träume nicht, nein!
    Jemand lief auf das Haus zu, erst vernahm Klara das Trappeln der Schritte, dann sah sie ihn auch, den jungen Mann, der seine Augen beschattend, keuchend dort unten stand. Schließlich griffer in seine Jacke, zog eine Pistole hervor und richtete sie genau auf den am Fenster

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