Blumenfresser
Nachmittag. Es war grauenhaft, einmal schrie sie so, dass ihr die Nase zu bluten begann. Bis dahin hatte sie geglaubt, jeden beliebigen Schmerz beherrschen zu können. Nun musste sie feststellen, sieh da, er brachte sie doch um, gleich würde er sie erledigt haben, im nächsten Moment staunte sie, alle Qualen vergessend, dass sie aus sich selbst emporstieg und die krampfhaften Anstrengungen ihres zuckenden Körpers, dieses gepeinigten Wesens, das sie selbst war, wie einen anderen, fernen Menschen betrachtete. Die Seele hatte den Leib verlassen und war nun frei geworden. So sterben wir, so schön?!
Das Geknurre des Arztes brachte sie zur Besinnung, fallen Siemir nicht in Ohnmacht!, worauf sie, weil sie sich noch immer sah, sich selbst, den schwitzenden Doktor Schütz mit seinen aufgekrempelten Ärmeln, das Dienstmädchen und die in einem seltsamen Winkel stehenden Gegenstände des Schlafzimmers, glücklich flüsterte, jetzt sterbe ich ein bisschen, nur ein bisschen noch, doch der Doktor schnauzte sie an, das fehlte gerade noch, meine Liebe, pressen Sie endlich, um Himmels willen!
Das Dienstmädchen wischte ihr mit einem feuchtwarmen Lappen das Gesicht ab und flüsterte dabei irgendetwas, das sie nicht verstand. Imre sah manchmal zu ihnen herein, um auf der Stelle kehrtzumachen. Schließlich entschied der Doktor, dass ein Dammschnitt nötig sei, den er im nächsten Moment auch schon durchführte, und Klara wurde für einige Momente ohnmächtig. Der Traum war zu Ende. Oder ein anderer Traum hatte begonnen, wer wusste das schon.
Es war der Oktober des Jahres 48, das Gesumme von Wespen erfüllte die Luft. Beim Franzosenberg wurde ein Bauer von einer Biene in die Zunge gestochen, es gelang nicht, ihn rechtzeitig zum Arzt zu bringen, der Unglückliche erstickte. Seit einigen Tagen weilte Kossuth in Szeged und wiegelte die ohnehin schon verstörte Stadt noch weiter auf. Im September hatten zunehmend brutale Kämpfe zwischen den von der Kamarilla aufgehetzten Serben und den Ungarn begonnen. In der Stadt ging das Gerücht um, die Serben würden gefangene Honveds pfählen, ihnen die Augen ausbrennen, die Haut abziehen und den Rest den Blutsaugern überlassen. Nero Koszta hatte sich seit Wochen nicht mehr gezeigt, vielleicht hatte er Angst um seine Musik, die in dem Gelärme untergehen würde, vielleicht hatte er auch Wichtiges zu erledigen. Rund um die Stadt wogte das Herbstgras wie ein grünes Meer. Wie anders als im Frühling war das Gras im Oktober! Imre lachte herausfordernd, ja, vor dem großen Sterben erwacht das platte Land zum Leben! In den Weingärten war die Lese in Gang, Tomaten, Mohrrüben wurden geerntet und hin und wieder für Verräter gehaltene Serben niedergemetzelt. Die Serben antworteten mit erbitterten Angriffen, in der Batschka und im Banat nahmen sie einige Dörfer ein, brennende Häuser und Leichen an Grabenrändern zeugten von ihrer Wut. In Szeged tranken die Aufständischen seit Tagen, die Nationalgardisten stanken nach Palinka und übertrumpften einander im Ausschmücken von Schreckensmeldungen.
Die Serben schneiden den Ungarn die Herzen heraus!
Sie schmettern Säuglinge gegen die Wand!
Sie nageln Mütter an Baumstämme!
An jenem Tag, am fünfzehnten, erreichten rumänische Viehtreiber mit roten Gürteln die Theißbrücke. Schon mehrmals hatten sie wegen der beunruhigenden Nachrichten fast kehrtgemacht, in Makó raufte sich einer der Brüder die Haare, um sie zurückzuhalten, doch die anderen entschieden sich, ihren Weg fortzusetzen, mit so vielen Rindern einen ruhigen Rastplatz zu finden wäre nicht einfach gewesen. Jetzt blickten sie unruhig um sich, die Hände an den Messergriffen. Über dem Wasser kreischten Möwen, ihre weißen Schatten ein Gespensterspiel. In den Büschen hielten sich Menschen verborgen, die hatten sich versteckt, als sie vom serbischen Angriff hörten, von der Staubwolke, die sich der Stadt näherte. Und tatsächlich, die Serben kamen, in Gestalt von schrecklichen Rindern, sie wollten die Stadt abweiden! Etwas krachte, das schien das Zeichen zu sein. Ein rumänischer Bursche floh brüllend. Mit einer Sense wurde ihm der Schenkel durchbohrt, er stürzte vornüber, sie hackten ihm mit der Axt in den Hintern. Der Widerstand der Treiber hatte keine Chance, einige liefen auf die Kähne zu, um ihre Leichen kümmerte sich schließlich die Theiß. Knüppel krachten auf Schädel, Keulen brachen durch Rippen und Gesichter, Messer bohrten sich in Herzen und Rücken. Die Angreifer,
Weitere Kostenlose Bücher