Blumenfresser
jetzt nehmen, ihr Gewalt antun, würde alles besser werden. Imre biss sie, an einer Stelle oberhalb der Brust, das brachte sie so aus der Fassung, dass alle Kraft sie verließ, sie wehrte sich nicht mehr, ließ die Arme fallen. Sein Schweiß tropfte ihr ins Gesicht, da kroch er auch schon wortlos von ihr herunter und ging aus dem Zimmer. Klara setzte sich auf, ihre Brust schmerzte so, dass ihr die Tränen liefen, ihr Körper war mit blauen und gelben Flecken übersät. Es war still in der Wohnung, der Abend hatte alles Licht verzehrt, Somnakaj trieb sich irgendwo herum, das Kleine war eingeschlafen, und sie hatte Likör getrunken, bis ihr schwindelig wurde. Sie empfand weder Zorn noch Hass, nichts interessierte sie mehr. Sie sah Imre gar nicht mehr so recht vor sich, sein Gesicht war verschwunden, ihre eigene Gefühllosigkeit hatte seine Bewegungen, seinen Zorn und seine Verzweiflung aufgesogen. Sie war ja imstande, stundenlang neben Imre zu sitzen, ohne das Wort an ihn zu richten, ohne ihm das Gesicht zuzuwenden, als würde sich ihre Atemluft gar nicht mischen, als würde er sie nicht ausdauernd ansehen und flüstern, Klara, ach, Klara! Sie ging umher, als zöge sie eine Wolke hinter sich her, und diese Wolke dampfte aus ihrem Körper, in dieser Wolke bewegtesie sich, und auch Imres Gesicht war in Wolken gehüllt, und oft, wenn sie aufschrak, saß das Zigeunermädchen neben ihr, summte vor sich hin, lernte schreiben oder wiegte das Kind.
Ich weiß, wie Tote aussehen, sagte Somnakaj einmal.
Ich auch, nickte Klara.
Die Toten sprechen mit mir, gab das Mädchen zurück.
Mein Vater hat mir gesagt, dass man ihre Nägel nicht ansehen darf.
Ich habe Tote gesehen, die keine Nägel hatten, weil sie nicht einmal Hände hatten!
Jetzt übertreibst du, Somnakaj? Klara lachte.
Ich habe gesehen, wie ein Teufelszauberer jemanden tötet! Die Augen des Mädchens funkelten.
Wie, Somnakaj?
Einen jungen Burschen, so einen dünnen mit weißem Gesicht, sein Körper war voller Wunden. Der Teufel stach ihn nieder, erwürgte ihn und fraß ihn auf!
Hat er sich nicht den Magen verdorben?, lachte Klara.
Seitdem hat er ständig Bauchweh!
Klara erhob sich, sie riss gereizt an ihrem Rocksaum, das Mädchen schwatzte wirres Zeug, Imre kam von seinem Nachmittagsspaziergang zurück, sie hörte das Quietschen der Tür, sogar ihn zu grüßen war ihr bereits unangenehm. Was sich zwischen ihnen abspielte, war schlimmer als das, was mit dem Vater und der Mutter geschehen war. Bitterkeit füllte ihre Seele aus, und das einzige Ergebnis ihrer Gedanken war, dass man es auch schöner machen könnte, mit mehr Würde. Statt im Gestank von Sauerkrautfässern mit Marktfrauen zu feilschen, sollte sie ihren Koffer packen und fortgehen, so wie Imres Mutter, die schöne Szabics-Tochter, die ihre Familie, die beiden Kinder und deren Vater, den Professor, leichtfertig im Stich gelassen hatte. Das war eine alte, alles andere als interessante Geschichte. Was sie nicht hindern sollte, abzuhauen! Sie müsste gar nicht im voraus wissen, wohin, sicher erst nach Pest, dann nach Wien.
Doktor Schütz, der seit neuestem Probleme mit den Augenhatte, bestätigte Adams Tod. Soeben habe ich Sie noch gesehen, ärgerte sich der Alte und wollte sein Schnapsgläschen auf den Tisch zurückstellen, doch es fiel zu Boden, auf den weichen Teppich, ohne Schaden zu nehmen.
Wie geschickt, Doktor Schütz, wie geschickt!, Klara versuchte zu lachen.
Spotten Sie nur!, knurrte der Alte und tappte Richtung Tür.
Sagen Sie doch mal, Doktor Schütz, warum besucht Ihre Tochter Sie nicht? Sie lebt in Wien, wenn ich mich nicht irre.
Eine komplizierte Geschichte, nicht der Rede wert, der Alte hatte schon die Klinke in der Hand.
Einmal habe ich mit meinem Mann darüber gestritten, wie alt Sie sind.
Ich habe mich entschlossen, mit hundert Jahren zu sterben. Nicht früher und nicht später!
Die Erwähnung seiner Tochter hatte ihn aufgewühlt, er stolperte aus der Wohnung, stieß versehentlich Imres Lieblingsglaskännchen von der Kommode, jenes, in das Imre von einem Pester Meister eine Lilie hatte eingravieren lassen, nicht lange nach Klaras Lilienkrankheit. Sie freute sich über das Missgeschick, denn sie hatte das Gefühl, es sei nicht zufällig passiert. Somnakaj sammelte die Scherben zusammen.
Hat die gnädige Frau diese Vase nicht gemocht?, fragte sie.
Es wurde Herbst, Imre zog sich immer häufiger zurück, trank viel, konnte jedoch nicht wirklich betrunken werden, er räumte seine
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