Blumenfresser
Sachen hin und her, machte Notizen auf kleinen Blättern, die er am Ende in Stücke riss, er konnte die mit kippenden, kleinen Buchstaben geschriebenen Zeilen selbst nicht lesen. Im Jahr 1850 stellte sich ein grauerer und kälterer Winter ein, als sie je einen erlebt hatten. Imre hatte die Lage zur Kenntnis genommen, schon allein das machte sie wütend, dass er nicht versuchte, etwas daran zu ändern. Klara erhielt einen Brief, von Zsófia. Sie konnte sich nicht vorstellen, was Zsófia wollte, doch dann tat es ihr wohl, die bekannte Handschrift zu lesen, die Wüstenblume teilte ihr nur mit, dass sie viel an Klara denke – es sei sichernicht leicht für sie – und dass sie sich große, große Sorgen um sie mache. Wenn sie irgendwie helfen könne, solle Klara sich vertrauensvoll an sie wenden! Sie wolle nicht aufdringlich sein, der Winter werde vorübergehen, ein wunderschöner Frühling werde folgen, darauf müsse man vertrauen, und dann habe sie noch eine kleine Frage, ob Klara vielleicht etwas von Peter wisse, denn der übermütige Bursche melde sich nicht.
Ganz gegen seine Gewohnheit stand sich Imre vor Amtstüren die Beine in den Bauch, und das war seltsam, denn er hatte Büros und Ämter immer gehasst. Klara fragte ihn wiederholt nach Peter, schließlich äußerte er sich mit ein paar hingeworfenen Worten, angeblich sei der Esel sehr krank und halte sich irgendwo versteckt. Vielleicht sei er in eine Schlägerei verwickelt worden. Aber er wisse nicht, wo er sei, und auch Doktor Schütz verrate nur, dass er sich an einem sicheren Ort befinde, in Szeged. Mehr habe er nicht sagen wollen, und er sei nicht in ihn gedrungen. Klara erwiderte nichts und sah an seinem Gesicht vorbei.
Was hast du vor?, fragte sie einmal, ihm entgegentretend.
Ich werde einen Vortrag halten, sagte Imre, in seiner Stimme lag etwas Drohendes. Wahnsinnige reden so. Indem er sich vorbeugte, blitzte ein gelbes Licht in seinem Blick, Doktor Schütz fertige Fotografien an, wie er sich erinnere, und das sei ein völlig neues Verfahren, erklärte er fieberhaft und unvermittelt. Nein, die Zensur ist wirklich nicht von Wien erfunden worden, doch Wien wendet sie am wirksamsten an, und mittels seines Apparats hat Wien das dunkle Reich der Hausmeisterwohnungen zum Hauptverbündeten des Herrschers gemacht! Ja, ein veritabler Hausmeister geht Seine Majestät den Kaiser mehr an als seine Konkubine oder sein Hofdichter, als sein Wirtschaftsminister, auch das ist eine neuere, wenngleich nicht überraschende Form unseres transformierten Bewusstseins! Wie viele Bücher und Zeitungen dressieren uns, Klara! Stifter, du kennst ihn, der österreichische Schriftsteller, er sagt, die Schattenseite des Buches sei, dass es uns das Denken abgewöhne. Dummes Zeug,Humbug! Ich werde einen Vortrag halten, denn ich dürfte es ohnehin nicht schreiben, vielleicht könnte ich es gar nicht … und Imre verstummte endlich.
Worüber willst du sprechen?!, fragte Klara, sie sah den Rasenden erschreckt an.
Vielleicht über uns, antwortete Imre mit einem verzerrten Lächeln.
Über uns?! Und zu wem?!
Die Lippen zusammenpressend sog Imre die Luft durch die Nase ein.
Zu denen, sagte er dann.
Ach, ich bitte dich, warum pflanzt du nicht lieber Blumen?
Wohin?
Irgendwohin! Vor das Haus! In die Loggia der Hölle!
Das hat keinen Sinn mehr, brummte Imre, dann schlug er einen so fürchterlichen Ton an, dass Klara zurückwich, bis sie mit der Hüfte an die Kommode stieß. Er kam näher, sein Atem roch nach Alkohol.
Klara schwieg, willst du mich bestrafen?!, fragte sie dann.
Ich denke an die Menschen, die aus ihrem Leben herausgefallen sind, doch dort, wo das passiert ist, stehen Fenster offen. Und wenn wir durch ein solches Fenster hinaussehen, können wir eine seltsame Welt erkennen. Durch sein eigenes Fehlen kann man nicht hindurchsehen, Klara!, flüsterte er. Er wies auf den Tisch, ich habe dir Schneeglöckchen gebracht, ich glaube, eine Zeitlang werde ich außerstande sein, dir Blumen zu schenken. Er schüttelte den Kopf, vielleicht hätte das auch gar keinen Sinn mehr.
Es gab keinen Zweifel, Imre würde sich in ernsthafte Schwierigkeit bringen! Was für eine kleinliche, dumme Rache das war! Zum ersten Mal seit Monaten packte Klara die Unruhe, sie begann sich Sorgen zu machen, der Fleck auf ihrer Hand begann zu schmerzen. Sie schickte nach Doktor Schütz, doch der war unauffindbar, sie dachte, der Alte verstecke sich vor ihr und melde sich mit voller Absicht nicht.
Der
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