Blumenfresser
Höhe zu erklimmen war kein geringer Kraftakt, doch der Alte beharrte darauf, er habe immer im Staub gelebt, jetzt wolle er wissen, wie es ist, im Himmel zu wohnen. Dann schimpfte er natürlich auf jedem Treppenabsatz, und seine Lunge pfiff Mozart-Melodien. Zu Mittag aßen sie im von zahlreichen Lüstern erhellten Hotelrestaurant, Klara bestellte Tafelspitz mit Meerrettich und Kipferln, der Doktor gebackenes Kotelett und Rotkraut, dazu tranken sie einen Wiener Muskateller. Dann führte Herr Schütz sie ins Billardzimmer und demonstrierte, dass er von diesem große Geschicklichkeit erfordernden Spiel überhaupt nichts verstand, auf den schlimm aufgerissenen Tischbezug warf er eine Zeitung, und sie begaben sich eilig ins Lesezimmer. Inmitten der Bücher schlief Herr Schütz mit brennender Zigarre ein, und wäre Klara, die neben ihm in den Zeitungen blätterte, nicht aufmerksam geworden, wäre er am Ende zu Asche verbrannt.
Warum haben Sie mich begleitet, Herr Schütz, was wollen Sie mit dieser Reise?, fragte Klara am nächsten Tag beim Frühstück, und obwohl sie nicht damit gerechnet hatte, erfolgte die Antwort prompt.
Wegen meiner Tochter, knurrte der Arzt, wissen Sie, Klara, sie lebt hier, in dieser sündigen Stadt, er nagte düster am Kipferl, sein Gesicht begann dem einer Maus zu ähneln, seine Tochter, stammelte er, seine wunderschöne Tochter, die ihn vor dreißig Jahren verlassen habe, auch ihretwegen sei er hergefahren, nicht nur wegen Klara, der Alte weinte. Er wurde hässlich und war nur mehr ein närrischer Greis. Klara nahm seine leberfleckige Hand und legte sie an ihr Gesicht. Dann bestellte er eine Flasche Wein und trank sie alleine aus.
Am Abend kauften sie Theaterkarten, ein Artist, Klara konnte sich gar nicht vorstellen, wie das möglich war, spie sogar aus den Nasenlöchern Feuer, um sich dann einen Schal aus dem Ohr zu ziehen, den er in eine Knospe verzauberte und ins Nichts warf. Vor Aufregung bekam Klara Schluckauf, jetzt war es der Alte, der ihre Hand hielt. Am nächsten Morgen frühstückten sie ausgiebig, die Lichtstrahlen im Restaurant wurden schärfer, als wollten sie die Gegenstände zerschneiden, die Porzellanteller, das Silberbesteck, das Tischchen, auf dem Marmeladen- und Honigtiegel stolz Aufstellung genommen hatten. Er lügt, Herr Schütz lügt, dachte sie. Wieder zogen sie sich ins Lesezimmer zurück, dann nahm der Alte ein Wannenbad, ließ sich massieren, wechselte vom eisigen Wasser ins heiße, schließlich rief er nach Klara.
Von der Terrasse eröffnete sich die Aussicht auf die verkehrsreiche Straße. Klara stellte sich ans Fenster, der Himmel verdunkelte sich plötzlich, von den Alpen her jagten graue Wolken auf die Stadt zu. Auf einmal löste sich aus dem Gewimmel unter ihr eine Gestalt, ein gewaltiger Mann, sein Hemd war blendend weiß, kein Zweifel, es war Peter. Er blickte zu ihr hoch, lächelte, vielleicht winkte er auch.
Herrgott, was suchte der hier?!
Klara stand steif da, dann machte sie es wie ein Kind, sie schloss die Augen. Sie dachte, auch das sei eine Intrige des Doktors, er habe es so arrangiert, dass sie mit dem schändlichen Kerl zusammentreffen musste! Als sie die Augen öffnete, war Peter verschwunden, ein kleiner, buckliger Träger stand an seinem Platz.
Wissen Sie, Herr Doktor, dass Peter Schön uns nachspioniert?!
Der Alte blinzelte und machte ein einfältiges Gesicht, Klara hätte ihr Leben darauf gewettet, dass er Theater spielte. Der Alte log, er log! Früher hätte sie so etwas nie von ihm gedacht, und wenn er sich auch in übertriebene Behauptungen verstrickte, hätte sie doch nie angenommen, dass er die Wahrheit verschleiere. Doch jetzt war sie sicher, dass er log, Herr Schütz wusste, dass Peter in Wien war und ihnen nachschnüffelte.
Am Nachmittag brachte er sie zu einem düsteren Gebäude, vor dem es von Beamten und Soldaten wimmelte. Klara runzelte die Stirn, was gab es hier schon zu sehen!?
Das ist der Sitz des Kriminalgerichts , mein Schatz ! Hier ist Imre einige Tage gefangen gehalten worden, von hier wurde er weiter nach Olmütz verschleppt! Noch immer darben Ungarn in den Zellen, Priester, Lehrer, Juristen!
Es war seltsam, das zu sehen, wovon sie bisher nur gelesen hatte, die prächtige Burg, die Kärntner Straße, den Graben oder das Gewühl des Kohlmarkts. Hier haben Haydn, Metternich, Beethoven und Schubert gelebt, und hier lebte Baron Kempen! Und irgendwo hier lebt Herrn Schütz’ geheimnisvolle Tochter, die ihren Vater verlassen
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