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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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der Gefangenen und Mädchen an, die ihre Mütter begleiteten, taten ihnen schön und logen das Blaue vom Himmel herunter. Es waren nette Burschen mit blankem, vorspringendem Kinn und feinen Manieren, am Hals hatten sie das Amulett, das ihre Verlobte ihnen vor Jahren in Prag, Pressburg oder Zagreb gegeben hatte. Ihre Uniformensaßen straff, ihre Stiefel glänzten, hier verrotteten sie nur. Es waren Tschechen, Mähren, Ungarn und Österreicher, es gab auch Kroaten und dunkle, lockige Italiener unter ihnen, sie repräsentierten die bunte Vielfalt der Nationen des Reichs genauso wie die Häftlinge. Dieselben Völker bewachten dieselben Völker, Gefangener und Wärter waren von derselben Mutter geboren, und es hing zuweilen an einem Haar, auf welche Seite das Schicksal jemanden verschlug.
    Die Wirtin hatte ein breites Gesicht und große Hände wie ein Tagelöhner. In ihrem Blick brannte Kummer, dessen Grund Herr Schütz ihr bald entlockte, sie hatte ihren Sohn in Ungarn verloren, mit tiefer Stimme erzählte sie von der Tragödie, dazwischen brachte sie das Abendessen, die kalte Bratwurst und den erstarrten Senf, dann machte sie sich wortlos am Schanktisch zu schaffen, ab und zu schneuzte sie sich. Sie aßen still, auf Herrn Schütz’ Bart tropfte Fett, in seinem Mundwinkel klebte Käse, die Offiziere beobachteten sie schamlos, ihr Flüstern, das Anstoßen mit den Gläsern, das selbstgefällige Gelächter erfüllte den Raum. Herr Schütz rieb sich gereizt die Augen, er blinzelte ständig, als sei etwas hineingeraten.
    Klara hatte keinen Augenblick lang gedacht, dass ihnen am nächsten Tag in der Festung ein separates Zimmer zukommen würde, ihr und Imre, dass es so eine Möglichkeit gab, sich zurückzuziehen, zu zweit zu sein. Wie würde es sein, ihn wiederzusehen? Sie blickte in einen bekannten, alten Brunnen. In den gleichen Brunnen, das gleiche bedrohliche Dunkel; nichts von dem Schlechten war vergangen, sie wollte nicht von seinem Wasser trinken, auch jetzt nicht, niemals mehr. Sie senkte den Kopf, der Wächter räusperte sich, er verließ den Raum, seine Schritte verhallten auf dem Korridor. Imre schwieg, lange saßen sie nebeneinander auf der über das Strohlager gebreiteten Decke, Klara wusste nicht, wie viel Zeit verstrichen war, sie betrachtete die Halme, die unter dem Stoff hervorlugten, schließlich nahm er ihre Hand.
    Ich kann dich nicht berühren, sagte Klara.
    Ich weiß, sagte er und zog die Hand zurück, willst du gar nichts sagen?
    Was möchtest du hören?
    Er atmete keuchend, bitte zieh dich aus.
    Klara entkleidete sich langsam, sie legte alles ab, faltete Bluse, Rock, Strümpfe und Unterwäsche zusammen, dann streckte sie sich auf der groben Decke aus, die ihren Rücken stach, sie fror, obwohl sie die aus den Mauern sickernde Feuchtigkeit zuvor stärker gespürt hatte. Er beugte sich über sie, betrachtete ihre Haut, saugte ihren Duft ein. Er gehorchte, berührte sie nicht, starrte sie jedoch mit dem Blick eines Tieres an. Klara schloss die Augen, sie krallte sich mit solcher Kraft in die Decke, dass ihre Finger schmerzten.
    Schlaf mit mir, flüsterte sie.
    Imre rührte sie nicht an, sie hörte sein unterdrücktes Weinen, etwas Warmes fiel auf ihren Schoß, ein Tropfen, noch einer, die Bettlatten knarrten, fast lag er schon auf ihr. Er sprach zu ihr, wie früher, wenn sie nicht aufstanden, sondern im Bett blieben, fast unverständlich, mit monotoner Stimme, Imre sprach summend, und davon verstand sie mehr, als hätten sich die Worte zu richtigen Sätzen zusammengefügt. Auf dem Korridor wurde gerufen, Töpfe und Ketten schepperten, irgendwo schlug wer rhythmisch gegen die Wand. Noch immer öffnete sie die Augen nicht, es schien ihr, als würde Imre beten. Man müsste Herrn Schütz fragen, ob man weinend beten kann. Imre keuchte aus nächster Nähe auf ihren Bauch, sein Atem brannte ihr auf dem Nabel, der unglückliche, hungrige Mund schien sie zu essen, er schlürfte, schmatzte, verschlang ihr Fleisch, würgend fraß er das Nichts, das sie war, zu dem sie geworden war, denn sie war nicht mehr hier, in diesem Gefängnis, und nicht mehr dort, woher sie gekommen war, in der Stadt, sondern nichts, nichts. Sie war nur noch ein Wunsch.
    Stirb, Imre Schön, stirb, ich bitte dich, stirb!
    Die Tür schien sich zu öffnen, ein kalter Hauch schlug ihnen entgegen, vielleicht belauschte sie jemand. Ein neuerlichesKnarren, vielleicht hatte sich die Tür geschlossen. Schließlich öffnete sie die Augen, Imre stand

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