Blumenfresser
und musizierten sie, einige Frauen lasen aus Karten oder Händen Zukunftsglück, andere boten ihren Körper feil, die Jungen sammelten Vogeleier, Himbeeren, Kamillen und Brombeeren. Dörfer mieden sie, deren Einwohnerschaft war arm. Es stimmt nicht, dass der Arme gütig ist und gibt. Die Zigeuner wussten, dass die Armen am wenigsten geben, und ihr Hass ist giftiger als derjenige der Reichen.
In dieser rauen Gegend hielt Habred unter dem Herzen seiner Mutter Einzug. Das junge Mädchen ging am Nachmittag Kräuter sammeln, weil einer der Bengel auf Eisen getreten war. Der Schnitt ging bis auf den Knochen, und die Frauen sagtenihr, sie solle Kamillen oder Klettenblätter holen. Wenn sie einen Sauerkirsch- oder Nussbaum sehe, solle sie ein paar Zweige brechen, auch ihr Saft sei gut für Schnittwunden. Das Mädchen gelangte auf einen Friedhof, und weil sie gute Laune hatte, trällerte sie wie eine richtige Sängerin. Im kniehohen Gras drehte sie sich im Kreis, und wenn ein dickerer Grashalm sich unter ihren Rock verirrte, blieb sie stehen und wartete mit ausgebreiteten Armen, bis der Wind sich gelegt hatte und der Grashalm unter ihrem Rock abknickte. Es tat gut, weil alles ihr gehörte. Doch der Himmel bekam einen violetten Bauch, als wäre er geprügelt worden. Staunend blickte das Mädchen sich um. Sie war weit in den Friedhof hineingegangen, solche furchteinflößenden, lockenden Gräber hatte sie noch nie gesehen, Schwerter und Menschengestalten waren in die mächtigen Steine gemeißelt, auf manchen ertasteten ihre Finger Abbildungen von Todesvögeln, Käuzen. Das Gras wogte wie grünes Wasser, der Wind versuchte zu beißen, dann fiel ein ohrenzerfetzender Donner auf die Erde. Aus dem Gebüsch stoben Fasane auf, streunende Hunde hetzten ihnen hinterher. Schon regnete es in Strömen! Ein so heftiges Unwetter brach los, dass an Heimkehr nicht zu denken war. Berauscht betrachtete sie die ächzenden Bäume, die dahinrasenden Wolken und das peitschenschlagartig niedergehende Wasser, dann erschrak sie und suchte einen Zufluchtsort, die gesammelten Kräuter verstreuend. Sie hielt nach einem Felsen Ausschau, unter den sie kriechen konnte. Die Gräber schienen wie gewaltige, schwarze Menschen im weiß herabstürzenden Regen zu stehen und zu ihr zu sprechen.
Komm, Kind, wir schützen dich, wir werden dich behüten!
Im Morgengrauen gelangte sie nach Hause, da war der Himmel schon wieder klar, der Dunst wusch das Tal, wo die anderen lagerten, in goldene Farben. Sie wurde von beglücktem Jauchzen empfangen, die Männer schlachteten ein Pferd und fochten mit den abgeschnitten Pferdebeinen, sie waren bereits betrunken. Das Mädchen schlotterte tagelang, und als es aufstand und ein paar Schritte machte, sackte es zusammen und erbrach sich. DerHeiler des Stammes beroch argwöhnisch ihr Haar. Sie habe sich mit Bogumilen eingelassen, flüsterte er Gilagóg ins Ohr, der die Verrichtungen des Aufbruchs überwachte. Die Frauen rollten die Teppiche auf und falteten die Zeltplanen zusammen, die Männer berieten sich. Der Stamm zog nach Norden und verließ die Umgebung von Sarajevo. Das Mädchen hatte immer noch Brechreiz, und der Heiler, der betagte, halbblinde Zauberer erklärte, nachdem er ihren Bauch betastet, neuerlich ihren Atem beschnuppert und von der Erde unter den Nägeln gekostet hatte, dass sich ein Unheil ereignet habe, das nicht zu heilen sei, die Heilung könne nur durch den Tod des Mädchens erfolgen. Und sie, die Arme, wusste von diesem Moment an, dass sie verloren war. Der Zauberer sagte, sie sei schwanger und die Frucht ihres Leibes eine zu große Last für sie. Sie widersprach, was blieb ihr anderes übrig. So etwas könne jeder Dahergelaufene behaupten! So etwas könne auch jemand sagen, der ein Huhn für einen Greif halte! Der Zauberer war so alt wie die ringsum aufragenden Berge und hörte nicht mehr, wenn man ihn anredete, und sah auch nicht, wenn die Bengel ihm den Hintern entgegenstreckten. Doch er irrte sich nicht. Damals begannen die Zigeuner von Habred dem Wahrhaftigen zu reden.
Gilagóg mochte das junge Mädchen mit den schmalen Knochen und den großen Brüsten, er plante, sie beizeiten zu seiner Konkubine zu machen. Somnakaj, der Augenstern des Woiwoden, spielte häufig mit ihr, das klingelnde Lachen der beiden war kaum voneinander zu unterscheiden. Gilagóg hatte keine Gelegenheit mehr, das Mädchen, in deren Blick sich ein trauriges, grünes Licht einnistete, als seine Geliebte einzuweihen. Ihm wurde angst,
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