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Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
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er hatte davon gehört, welch böse Zauber die Friedhöfe der Umgebung mit den Menschen anstellten. Eines Morgens verließ er den Stamm und betrat das Dickicht neben der Straße, das Knacken der Zweige hinter ihm wurde rasch leiser. Jemand rief ihm nach, wohin er denn gehe, er dürfe sie nicht verlassen, solle zurückkommen. Doch Masa, sein bester Mann, blieb ruhig, er wusste, was er zu tun hatte. Er zog sein Messerhervor und setzte sich vor dem ersten Wagen bequem auf die Erde.
    Wir warten, sagte er und ließ die Klinge blitzen, damit nicht irgendjemand dachte, man dürfe auch etwas anderes tun.
    Er wird alles erfahren, was zu erfahren ist, bedeutete er den Beunruhigten.
    Gilagóg kehrte einen Tag später zurück, von Wunden übersät. Er blieb vor dem Mädchen stehen und sah lange in ihr bleiches, verängstigtes Gesicht.
    Schlimm?, fragte er schließlich.
    Ja, antwortete sie und legte die Hand auf den Bauch.
    Ich kann dir nicht helfen, brummte er. Müde wandte er sich ab und zündete seine Pfeife an. Das Mädchen verzweifelte und setzte sich ein Messer an den Bauch. Sie wurde festgehalten, geohrfeigt und bewacht, damit sie sich nichts antun konnte. Sie fluchte, machte den Wächtern Angebote, schlug den Rock hoch und zeigte ihren Schoß. In der Tiefe der bis zum Nabel hinaufwuchernden Haare pulsierte wunderschönes lebendiges Fleisch. Zwei entzweigeschnittene, blutige Hühnerbrüste schienen die Gräben zwischen den Schenkeln auszufüllen. Angesichts der gewaltigen Vulva wurden die Wächter von Angst gepackt. Nicht, weil Gilagóg ihnen eigenhändig die Kehle durchschneiden würde, wenn sie das Mädchen anrührten. Der fürchterliche Schoß war es, der ihnen Angst einjagte, deshalb ohrfeigten sie sie, damit sie sich anzog und ordentlich benahm.
    Der Wind trug den Singsang eines Muezzins und das Glockengedröhn einer Kirche herüber. Gilagóg hielt Somnakaj schnell die Ohren zu. Auch Glockentöne vergifteten, ebenso wie Wehgeschrei. Auch wer eine volle Speisekammer besaß, hatte in Bosnien kein leichtes Los. Und erst recht ein Besitzloser, der so arm war wie sein eigener Schatten und Verbündete nur zu Übeltaten fand!
    Das schwangere Mädchen starrte hasserfüllt auf die kahlen Berge, spuckte hasserfüllt in den Schaum der Gebirgsbäche, in die Wellen der Bosna, hasserfüllt blickte sie auf die Felder nebender Straße, wo bereits die ersten Schneeglöckchen miteinander tanzten. Das arme Mädchen hasste umsonst. Diese wunderschöne Welt stieß sie von sich.
    Die Prophezeiung erfüllte sich, Habreds Mutter starb bei der Geburt.
    Als der Säugling in dem zur gewaltigen Wunde geborstenen Mutterschoß auftauchte, genügte es, die Nabelschnur abzubeißen. Sie schrie auf, ihr Kopf fiel zur Seite, sie lebte nicht mehr. Es wurde still, aus ihrem Schoß tropfte dickes Blut auf die Erde. Somnakaj schluchzte auf, man hielt ihr den Mund zu. Das Mädchen Barka begann zu summen, der traurige Gesang stieg auf wie Rauch. Der von Blut und Fruchtwasser schmierige Knirps wurde ins Licht gehalten, um zu sehen, ob er lebe, und wenn ja, was für eine Kreatur er sei. Ob sich wohl die Besonderheit des Wahrhaftigen schon zeigte? Das Neugeborene hatte einen intelligenten Blick, schien sie wahrzunehmen, es weinte nicht, stöhnte nicht einmal. Außerdem sah es ziemlich alt aus.
    Warum plärrt dieser Habred nicht?!
    Warum brüllt er nicht wie bei solchen Gelegenheiten üblich?!
    Gilagóg spürte noch den fauligen Geschmack der Nabelschnur im Mund.
    Er beugte sich über das runzelige Gesicht und sah sogleich, warum Habred schwieg. Das Neugeborene hatte keinen Mund. Die Lippen waren zusammengewachsen, die Lippen wurden von einer Haut zusammengehalten, wie sie bei Wasservögeln die Knochen der Krallen verbindet. Der Woiwode mochte solche Komplikationen keineswegs, doch er zögerte nicht, sogleich blitzte sein Rattenfängermesser auf, das er zum Rasieren, Pfeifenschnitzen und gegen seine Feinde gebrauchte, und schnitt durch Habreds Gesicht. Das Blut besprühte die Umstehenden. Der Woiwode schnitt einen Mund in Habreds Säuglingsvisage, und was dann folgte, glich ebenso einem Wunder, wie das, wovon Christen oder die Anhänger des Propheten schwafelten. Christen und Muselmanen prahlen zeit ihres Lebens mit zahllosen Wundergeschichten, doch dass auch bei den Zigeunern Wunder geschehen, kann sich weder ein gelehrter Hafiz noch ein christlicher Glaubenswächter vorstellen. Ein wildes Volk, primitive Menschen, barbarische Bräuche. Sie stehlen, sind

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