Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blumenfresser

Blumenfresser

Titel: Blumenfresser Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: László Darvasi
Vom Netzwerk:
Kannibalen, und wenn sie nicht irgendetwas Schlechtes tun, dann kratzen sie sich die Bäuche. Sie leben so nahe an den Elementen, dass sie die Wunder des blauen Himmels über sich nicht sehen können. Die Zigeuner stehlen sogar ihre eigenen Wunder! Oder wenn sie sie nicht stehlen, dann zerstreiten sie sich ihretwegen.
    Habred krächzte eine Runde, hustete sich Blut aufs Kinn und begann zu reden.
    Gebt mir Geld!, sagte er mit der müden, traurigen Stimme eines Erwachsenen.
    Der Woiwode starrte bestürzt in die blutige Fratze.
    Wie?!
    Gebt mir Geld!, wiederholte Habred.
    Wie viel?!, fragte der erstarrte Woiwode.
    Gebt mir Geld, wiederholte Habred.
    Habreds Mund wurde nicht zugenäht, doch schön fest verbunden. Dann verscharrten sie Habreds Mutter, wie sie es mit jedem anderen Toten auch getan hätten, beweinten sie recht laut, und beim Abendessen stellte man einen leeren Kupferteller für sie hin. Dann war sie schnell vergessen, wie alle, denen wichtigere nachfolgen. Wilde Berge, sumpfige Wiesen und trockene Steppen breiteten sich vor ihnen aus, und wenn ihre Blicke auf dem Säuglingsgesicht von Habred dem Wahrhaftigen ruhten oder wenn sie ihn in Lumpen wickelten, stillten oder den von einem Bärenfell Umhüllten wiegten, dachten sie nicht mehr an das kümmerliche Mädchen. Sie dachten nicht daran, wie und warum sie schwanger geworden war, nicht an die seltsamen bosnischen Gräber, und sie vergaßen sogar ihren Namen.
    Habred hatte den Schoß seiner Mutter am fünfzehnten März 1848 verlassen, dem Tag, als die Ungarn sich gegen das Habsburgerreich erhoben, somit hätten die Zigeuner die Geburt des Welterzählers auch als symbolisches Ereignis betrachten können. Es handelte sich nicht unbedingt darum, dass die Zigeuner nicht gewusst hätten, was ein Symbol ist. Damals befasste sich der Woiwode noch nicht mit der Bedeutung solcher Daten, doch später, als Soldatenstiefel über die Erde Ungarns trampelten, verstand er, warum dieser Zeitpunkt wichtig war. So, wie die Iden des März für die Ungarn ein herzerwärmendes Fest sein werden, solange die Welt steht, nehmen sie auch in der Geschichte der Zigeuner einen besonderen Platz ein. Wenn all das Gilagóg durch den Kopf ging, qualmte der Rauch goldfarben aus seiner Pfeife.
    Der Wahrhaftige ist zu seinem auserwählten Stamm gekommen!
    Vorläufig kann er nur um Geld bitten, doch das wird sich ändern. Habred muss man hüten wie seinen Augapfel, er ist es, in dessen Leben der Schöpfer die Weltgeschichte der Zigeuner verborgen hat. So lautet die Prophezeiung! Doch die Weltgeschichte der Zigeuner wird noch andauern, wenn es keine Sprache mehr gibt. Das Ende der Geschichte wird gekommen sein, wenn das vergoldete Tor des Paradieses sich vor sämtlichen Zigeunern der Welt öffnet, Pferdezüchtern, Trogmachern, Löffelschnitzern, Musikern, Goldwäschern, Fischern, Tanzbärenführern, Henkern und Schmieden, vor Karpaten- oder walachischen Zigeunern, nach Westen gewanderten und im Osten umherstreifenden, und sie dann alle einer nach dem anderen hindurchgehen. So weit reicht die von Habred erzählbare Geschichte, die allerdings weitergeht, doch dann schon auf den Samtsofas des Himmelreichs und in den Gärten und an den kühlen Bachufern des Paradieses! Leider lässt sich dieser Teil der Ereignisse mit menschlicher Sprache nicht mehr vermitteln. Von zehn Zigeunern brechen acht in acht verschiedene Richtungen auf, die übrigen zwei überwerfen sich, und der eine wird zum Mörder. Habred der Wahrhaftige ist deshalb zu ihnen gekommen, um einen Weg zu weisen, die Zwietracht auszulöschen und sie von ihren Sünden zu erlösen, deren Aufzählung Tage füllen würde. Ohne Zweifel ist er kein alltägliches Wesen, das Auge des Herrnruht auf ihm, denn in kritischen Momenten oder wenn er hungrig ist, leuchten seine Knochen.
    Als sie das Tal der Bosna verließen und sich nach Osten wandten, wurden sie von Grenzsoldaten des Sultans überfallen. Der Angriff erfolgte im Morgengrauen, rohe Flüche, Fausthiebe − man trieb sie zusammen. Fackelschein schlug ihnen ins Gesicht, Kommandoworte bellten, ein junges Mädchen kreischte, die Mutter packte sie am Haar, sie solle still sein, wenn sie leben wolle. Die Türken schlugen sich auf die Knie vor Lachen, einer verdrehte dem Zauberer das Ohr, hörst du das, Alter, hörst du es?! Sie würden sie wie Abfall lebendig verbrennen, dachte Gilagóg. Ihr Zauberer stürzte röchelnd zu Boden, doch der Soldat tat ihm nichts, stattdessen gestikulierte er

Weitere Kostenlose Bücher