Blut & Barolo
kalten Mauern des Gotteshauses gedrückt. Neben ihm lagen Essensreste, steifgefroren und kaum angerührt. Er bewachte die Leere.
Seiner Mutter erging es genauso. Sie blickte nun zu Amadeus auf. »Du hast uns nichts mehr zu sagen. Wir haben alles schon ausgesprochen.«
»Es ist wegen Nara«, erwiderte er. Zuerst die schlechte Nachricht, dachte Amadeus, dann die freudige.
»Wo ist sie?«, kam die Frage von einer seiner Schwestern. Sie hatte an der Großmutter gehangen wie eine Klette.
»Hast du sie gesehen? Ist sie bei den Hundefängern?« Sein älterer Bruder trat vor, selbst er nur noch ein Schatten seiner selbst. Die Kälte schien sogar die Wut aus seinem Körper gezogen zu haben.
»Warum kommt sie nicht zurück?« Die Fragen überschlugen sich.
»Ruhe«, befahl seine Mutter schwach. »Gebt ihm Zeit zum Reden.«
Amadeus blickte zur Seite und nahm dann einen tiefen Atemzug. Er hatte die folgenden Sätze so lange wie Kiesel in seinem Inneren geschliffen, bis sie sich nicht mehr wie eine Lüge anfühlten, sondern wie eine schönere Form der Wahrheit.
»Nara suchte das Sindone und war auf der richtigen Spur.Doch dann ist sie von einem Menschen im Borgo erschossen worden. Er wollte nicht, dass sie es findet.«
Viele der Pharaonenhunde rollten sich auf der vom Regen zerfetzten Schneedecke zusammen und zeigten so ihre Trauer.
»Sie starb wegen dir, Amadeus«, sagte seine Mutter, ein kehliges Bellen für die Ohren der Menschen. »Hättest du aufgepasst und deine Aufgabe erledigt, wäre sie noch am Leben. Du hast sie auf dem Gewissen!«
Die anderen murmelten zustimmend. Und Amadeus widersprach nicht. Nara war tot, nur ihr Andenken lebte noch. Wie konnte er dieses nun mit der Wahrheit schänden? Es würde den Seinen die letzte Kraft nehmen.
»Bevor sie starb, sagte Nara mir, ihr sollt nicht aufgeben. Das würden unsere Urväter und Urmütter uns niemals verzeihen.«
Seine Mutter ging an den Platz rechts neben dem immer noch leblosen Leib des Vaters. Dort, wo Nara eine Kuhle in den Boden gelegen hatte. Sie senkte ihre Nase und schnüffelte, keine Ecke auslassend. Die anderen der Meute hatten nichts, um ihre Trauer zu lindern.
»Aber ich habe euch noch etwas zu sagen.« Amadeus leckte sich vor Nervosität kurz die Nase. Wie hatte er auf diesen Moment gewartet. »Etwas Gutes. Was wir auch Nara zu verdanken haben. Das Sindone ist wieder da! Heute Nacht wird damit der Dieb überführt, welcher alles Unglück über uns gebracht hat.«
»Du, Amadeus, du hast all dies zu verantworten!« Es war sein Vater, der nun sprach und sich dafür sogar erhob. Mühselig, wie ein Spross, der durch die Erddecke trieb. »Steh dazu, schieb es nicht auf andere. Der Schutz des Tuches war deine Aufgabe. Du hast versagt.« Seine zittrige Stimme wurde mit jedem Wort stärker.
Die Meute wagte sich näher, die Köpfe nervös hebendund senkend. Die unberührte Eisdecke betretend, die um die Ruhestätte des Vaters lag. Keiner hatte sich in den letzten Tagen daraufgetraut.
»Hast du mich nicht verstanden?«, fragte Amadeus. »Das Sindone ist wieder da und wird an seinen Platz zurückkommen! Alles wird wie früher.«
»Früher ist ein anderes Land, und alle Brücken dorthin sind eingestürzt.«
So hatte Amadeus es sich nicht vorgestellt! Wo war die Freude? »Kommt bitte heute Nacht auf die Ponte Umberto I.! Seht euch an, wie ...«
Doch dann bemerkte er ihre Augen, sie waren offen und doch schien kein Licht hineinzufallen. Wie ließ sich solche Hoffnungslosigkeit heilen? Er konnte sich nur unterwerfen, indem er mit tief gehaltener Rute schnell hin und her wedelte, die Ohren zurückgelegt. Und hoffen, dass die Bedeutung der Worte langsam einsinken würde, wie Regen in ein ausgetrocknetes Blumenbeet.
»Was ändert sich, wenn wir es uns ansehen?« Sein Vater stand nun vor ihm, auf wackeligen Beinen, die drohten einzuknicken. »Wir sind Wächter. Wir bewachen das, was da ist. Du dagegen bist zu einem Sucher geworden. Wenn das Sindone wieder an seinem Bestimmungsort ist, werden wir unseren Dienst wieder antreten, wir alle. Nur du bist dann keiner mehr von uns. Du bist frei, kannst gehen, wohin du willst. Du bist kein Wächter mehr. Und wirst niemals wieder einer werden.«
Er sackte in sich zusammen. Die Leiber der Meute schlossen sich sogleich um ihn, den Vater wärmend.
Amadeus ging fort, ohne ein weiteres Wort.
»Verdammich, ja!« , brüllten die Dachshunde, und damit war die Schlachtordnung besiegelt.
»Striezel!«, rief der Kleine
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