Blut & Barolo
etliche Zeit später, dem Geräusch nach nun mit hochhackigen Schuhen, zum Telefon kam, eine Nummer wählte und plötzlich wie aufgewühlt sprach, dabei schluchzte und zum Schluss gar heulte. Nachdem sie aufgelegt hatte, ging Saada ins Wohnzimmer zum Barschrank und schenkte sich ein Glas ein. Canini verfolgte all diesmit ihren Schlappohren nahe der Zimmertür, doch außerhalb des Radius, den diese beim Öffnen beschrieb. Es war eine der Lektionen, die man als Welpe zuallererst lernte – unter Schmerzen. Schnell ging es deshalb in Fleisch und Blut über.
Dann folgte Stille. Lange Zeit. Canini versenkte ihre empfindliche Schnauze zwischen den ausgestreckten Vorderläufen, denn ihr war etwas klargeworden, das sie beschämte. Diese Wohnung fühlte sich mittlerweile schon an wie ihr Zuhause. Was für ein hinterlistiges Gefühl die Gewohnheit doch war. Und trotzdem liebte Canini sie. Auch jetzt gab es einen Teil in ihr, der nur wollte, dass all dies, so schrecklich es war, zur Normalität wurde. Doch dieser Wunsch verhallte ungehört, wie all die anderen der letzten Tage.
Die Männer nahmen die Stufen des Treppenhauses im Gleichschritt, wodurch das schwere Gebäude wie bei einem Erdbeben vibrierte. Nacheinander traten sie durch die Wohnungstür, Canini konnte nicht zählen, wie viele. Irgendwann standen sie auch bei ihr im Zimmer, ihre Augen die von Adlern, ihre Hände stammen jedoch von Waschbären. Alles fassten sie an, drehten es um, zerrten hervor, was immer sich bewegen ließ. Einige hatten beruhigende Klapse für sie übrig, ehe Saada die Hündin packte und Richtung Schlafzimmer trug. Doch in der Diele blieb sie stehen, unter dem Geweih eines Hirsches, wie Canini in diesem Moment höchster Verwirrung bemerkte, eines Zwölfenders, einst sicher ein stolzes Tier. Die aus der Küche herbeisprintende Frau mit dem knallengen Top unter der schwarzen Lederjacke interessierte der Hirsch überhaupt nicht. Sie rief ins Bad, aus dem ein bärtiger Bursche herausschaute, in dessen Mundwinkel eine Zigarette schlabberte. Sie war nicht mal angezündet.
»Wir haben was, Commissario. Und als Dank dafür muss ich mir nie wieder Ihre dummen Sprüche über Frauenfußballanhören.« Sie hielt eine schwarze Tasche hoch. »Unter dem Abfluss versteckt. Ein Schlüsselbund war drin, ein Herrenhemd, Button-down-Kragen mit Blutfleck, und ein Wolfsgebiss. Das allerdings ist sauber. Zu sauber, wenn Sie mich fragen, Commissario.«
»Heilige Rosalia«, erwiderte der Bärtige, bekreuzigte sich und blickte zur Dielendecke. »Heute Abend bekommst du die versprochenen Kerzen, meine Süße. Alle einhundert! Und die Spende wird auch nicht vergessen.« Dann legte er den Arm um seine Kollegin. »Bist ja doch für für was gut.«
Sie griente. »Aber ich suche mir aus, was!« Sie stieß einen Freudenschrei aus und tanzte ein wenig auf der Stelle.
»Sie müssen Bianca verzeihen«, sagte der Commissario zu Saada. »Aber wir sind alle etwas überarbeitet. Danke für Ihren Anruf! Ich weiß, wie schwer das für Sie gewesen sein muss. Bitte begleiten Sie uns zur Questura. Ihre Aussage ist dringend vonnöten.«
Die Männer suchten noch eine ganze Weile weiter, doch dann verschwanden sie und riegelten die Tür mehrfach hinter sich ab.
Canini war gescheitert.
Und damit der ganze Plan.
»Lasst mich durch!«, rief Amadeus seinen Brüdern und Schwestern entgegen, noch bevor er den gusseisernen Zaun der Giardini Reali überwunden hatte. »Es ist sehr wichtig.«
Er war nun nicht mehr der junge Hund, welcher vor einigen Tagen das Amt des Wächters übernommen hatte. Die bittere Kost der Demütigung hatte den schlanken Körper wachsen lassen, nicht äußerlich, doch seine Augen strahlten eine neu gewonnene Gewissheit aus. Amadeus’ Geschwister sahen und begriffen es, ihre Reihen blieben diesmal nicht geschlossen, sie wichen zurück.
Sein Vater lag weiterhin unter dem immergrünen Kirschlorbeer,doch er war abgemagert und bleich, verwelkt wie ein Blatt. Auch die anderen seiner Meute schienen im Verschwinden begriffen, standen und saßen teilnahmslos herum, als wüssten sie nicht, woher und wohin. Der Raub des Sindone hatte ihr Leben sinnlos werden lassen. Und in diesem eisigsten Winter seit Jahrzehnten, der keine Schwächen zuließ und niemandem etwas schenkte, hatten sie eine neue Aufgabe finden müssen. Sie waren kläglich gescheitert.
Seinen jüngsten Bruder hatte er gerade noch vor dem Duomo gesehen. Gebibbert hatte der Schmächtige, den Rücken an die
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