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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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Stinker, denn er wurde unruhig.Es sah nach Regen aus. Und er wusste nicht so richtig, was das war. Der Anführer der Dachshunde war in der Unterwelt geboren und hatte sie niemals verlassen. Die Vorstellung, Wasser fiele von überall auf ihn herab, hatte etwas ... Durchdringendes.
    »Welche Heldentat soll ich vollbringen, Kleiner Stinker?«, fragte Striezel.
    »Du beziehst Stellung unter dem Schacht SchlammRinnsal-Metzgerei. Das Losungswort ist, ähm, Wuff. «
    Nach und nach befahl der Kleine Stinker seine stärksten Untertanen zu sich und verteilte sie auf die nächstliegenden Gullydeckel.
    Viele Menschen gingen heute im Museo Regionale di Scienze Naturali ein und aus – aber keiner warf den Dachshunden mal eine frische Ratte zu. Es war frustrierend. Hineingehen sahen sie den Mann mit der Sonnenbrille nicht, doch heraus trat er als einer der Letzten, unterhielt sich noch einige Sätze mit der jungen Dame am Eingangstresen und wandte sich dann nach links. Er bewegte sich zügig, über der Schulter wippte ein modischer Rucksack. Der Mann hatte keine Augen für die Hunde auf dem Bürgersteig, sein Blick galt vielmehr den Oberkörpern der Frauen, je ausgebeulter, desto besser. Der Kleine Stinker vermutete dort seit jeher Essensdepots, die sie überall mit sich herumtrugen – weshalb er von den Frauen der Menschen stets mit größter Hochachtung sprach. Der Mann näherte sich nun dem ersten Gully.
    »Vorbei an RatteSchlammSchlammDickesRohr« , flüsterte der Adjutant des Kleinen Stinkers.
    Zwei weitere Gullys brachte die Sonnenbrille unbehelligt hinter sich. Dann endlich war die Straße leer, keine Spaziergänger, keine vorbeifahrenden Autos, keine Zeugen. Perfekt! Zudem war der Bursche nur wenige Meter vom nächsten Schacht entfernt, der den vielsagenden und in denOhren der Dachshunde äußerst vielversprechenden Namen RatteRatteFetteRatte trug.
    »Wuff« , sagte der Kleine Stinker. Er tat es leise und bedacht, doch die Auswirkungen glichen einem Lawinenabgang. Die schmale Via Giolitti im Herzen Turins erlebte nun etwas, das jeden Biologen in den Wahnsinn getrieben hätten.
    Das Erste, was geschah, war, dass Schnucki und Bubi, zwei alte Kurzhaar, mit ihrem Kopf so von unten gegen den Gullydeckel des Schachts RatteRatteFetteRatte rammten, dass dieser scheppernd auf dem Bürgersteig landete. Zeitgleich schossen weitere der wurstigen Vierbeiner wie Torpedos unter den parkenden Autos hervor. Es ging alles furchtbar schnell – wobei für den Sonnenbrillenträger die Betonung eindeutig auf furchtbar lag. Er verlor das Gleichgewicht und landete auf unzähligen Dachshundrücken, die ihn umgehend zu RatteRatteFetteRatte trugen und dort mit einem fröhlichen » Verdammich, ja! « in die Unterwelt sprangen. Ein paarmal dotzte ihre Fracht gegen die Eisensprossen oder den Beton der Schachtwand – was zu unzähligen Schuldzuweisungen und Flüchen führte –, doch alles in allem kam der Mann unversehrt am Grund an, bevor es im irren Tempo in die Dunkelheit Richtung Ponte Umberto I. ging.
    »Rechtsrum« , schrie der am rechten Oberschenkel laufende Dachshund. »Jetzt gleich! Hört mir mal einer zu?«
    »So ’n Riesenquatsch!« , antwortete die linke Schulter. »Die nächste Abzweigung links, und dann über den Kanal vom Altenheim.«
    »Was redet ihr Dummschwätzer wieder für einen Quark?!« , schaltete sich der Rücken – 23. bis 26. Wirbel – ein. »Dass ihr es überhaupt schafft, eure Füße voreinander zu setzen, ohne umzufallen, grenzt an ein Wunder. Geradeaus geht’s. Ist doch klar.«
    »Verdammich ... nein!«
    Eigentlich konnten Hunde nicht lachen, doch die Dachshunde scherten sich nicht darum. Der Sonnenbrillenträger verstand das Gekläffe nicht, unmissverständlich waren dagegen die unzähligen Schrammen und blauen Flecken, welche ihm die Uneinigkeit der Dachshunde einbrachte. Den Horror, den ihre Fracht in diesem Moment verspürte, konnte sich keiner der Dachshunde vorstellen. Insgeheim wünschte sich ein jeder von ihnen, irgendwann einmal auf dieselbe Weise durch die Dunkelheit getragen zu werden.
     
    Als die Dunkelheit wie ein Sack Kohle auf die Altstadt Turins fiel, wusste Giacomo, dass die Zeit ablief. Der Sturm hatte neben Wasser auch weitere Wärme gebracht. Der Tau tropfte schon den ganzen Tag von den Ästen herab, die Eiszapfen fielen den Dachrinnen aus wie wackelige Milchzähne. Und die Welt, welche Giacomo vorher karg und farblos erschienen war, erhielt wieder Tiefe und Raum. Er roch wieder den Boden, das

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