Blut & Barolo
nähern. Giacomo knurrte noch ein bisschen und rannte ihm hinterher, im Türrahmen des Hauses erschien die Frau des Fallenstellers mit einer Flinte im Anschlag.
Doch der alte Trüffelhund war schneller. Als er auf der breiten Hauptstraße ankam, war der Fuchs schon nicht mehr zu sehen. Giacomo lief einfach nach rechts, denn dort gab es unzählige Menschenbeine, zwischen denen er verschwinden konnte.
Er kannte die Stadt nicht. Der Größe und Lautstärke nach zu urteilen, musste es sich aber um Turin handeln. Einige der Hunde aus Alba stammten von hier. Giacomo hatte ihren Geschichten immer genau gelauscht. Man wusste nie, wofür es gut war. Am Po sollte es einen Park geben, und in diesem sollte der durchtriebenste Hund ganz Turins hausen.
Und genau zu diesem würde er nun laufen.
Die Piazza Cesare Augusto gehörte unangefochten Tommaso, einer massigen Englischen Bulldogge. Seine Rasse war unempfindlich für Schmerzen, dafür hatten die Menschen mit ihren Züchtungen gesorgt. Tommaso fehlte ein Ohr, über seine Lefze lief eine Narbe. Er trug beides mit Stolz. Amadeus kannte andere Bulldoggen, gutmütige Hunde mit hübschen Halsbändern, die brav bei Fuß spazierten oder mit den Kindern tollten. Tommaso aber war vom alten Schlag. Er bestand vor allem aus Gebiss. Und er teilte die Welt danach ein, was durch dieses passte und was nicht.
Die Meute der Pharaonenhunde respektierte er nur, weil sie eine große eingeschworene Gemeinschaft waren – und ihnen seit Generationen der Duomo anvertraut war. Doch er hatte des Öfteren gezuckt, wenn sie als junge Welpen über die Piazza rannten. Sie hatten die richtige Größe für eine Zwischenmahlzeit.
Amadeus hielt genau auf ihn zu. Er lag vor einem der Türme des Porta Palatina und verschlang ein altes Stück Pizza, steinhart vor Kälte.
»Tommaso«, rief Amadeus ihm zu. »Ich muss mit dir reden.«
»Geh zurück zum Duomo.« Stücke des Fressens flogen aus seinem Maul.
»Ich brauche deine Hilfe, das Sindone ist fort.«
»Hau ab, Pharaonenhund!« Es knackte, als er den knochigen Pizzarand mit einem Biss zermalmte.
Amadeus stellte sich genau vor ihn. Die Bulldogge blickte nicht einmal auf. »Verpiss dich, Kleiner. Du nervst.«
»Du redest mit dem neuen Wächter des Sindone. Und du wirst mir helfen.«
Jetzt hörte Tommaso auf zu fressen. Und sah langsam hoch. Die Zunge umspielte seine scharfen Reißzähne.
»Sag mal, spinnst du? Schau dich mal um, Mistvieh. Keiner deiner Meute ist zu sehen. Würde keinem auffallen, wenn Tommaso dich fräße!« Er schluckte das letzte Stück Pizza hinunter und kam mit der Schnauze bedrohlich näher. »Tommaso ist verdammt hungrig.«
Amadeus verspürte den Drang, sich zu unterwerfen. Kraft und Kampfeslust strömten aus Tommaso wie uralter, ranziger Schweiß. Selbst an diesem eisigen Morgen roch er nach einem schwülen Sommertag. Es machte Amadeus schwindlig. »Hilf mir, bitte.«
»Was hätte Tommaso davon?«
»Ich bringe dir Fressen. So viel du willst!«
»In der Zeit, in der Tommaso das blöde Tuch sucht, sammelt er mehr Fressen als du in einem ganzen Jahr. Tommaso hilft niemandem. Und jetzt ist Schluss.« Die Bulldogge sprang auf Amadeus, der sich plötzlich unter dem mächtigen Tier befand, scharfe Zähne an seinem dünnen Hals. »Sprich Tommaso nie wieder an! Besonders nicht, wenn er frisst.« Er drehte sich um und stapfte die Via XX. Settembre hinunter, sein Magen grummelnd wie ein kleines Raubtier.
Amadeus folgte ihm.
Die Bulldogge passierte den Duomo, trat in den Schatten der mächtigen Kirche. Amadeus sah, dass sein kleiner Bruder auf dem Platz des Wächters lag. Dadurch begann sein Herz in der Brust zu brennen, der junge Pharaonenhund fühlte jedes Pumpen, das Zusammenziehen der Muskeln, als wollte ihm sein eigener Körper das Blut abpressen. Er wandte den Blick ab, doch das Bild blieb.
Hinter diesen Mauern war das Sindone aufbewahrt worden. Und er hatte es schützen müssen. Er war auserwählt worden, niemand sonst! Amadeus fühlte sich mit einem Mal bedeutend, und die Wut sammelte sich in ihm wie giftiges Quecksilber. Eine schimmernde Schwärze legte sich über ihn, durchwebt von Wahnsinn. Tommaso erschien ihm plötzlich als ein kleiner, harmloser Hund. Und mit jedem Schritt schien er noch mickriger zu werden. Er wirkte überhaupt nicht mehr einschüchternd. Als die Bulldogge in die Piazza Castello abbog, wo Touristen auf die morgendliche Öffnung des Palazzo Reale warteten, stürzte sich Amadeus auf sie. Alle
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