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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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auch sonst niemand, den er kannte. Es beschrieb den Herrscher der Menschen.
    Ob er auch über die Hunde herrschte? Konnte er ihn dann zu Isabella führen? Er vermisste sie so schrecklich, und seine Sorgen wurden mit jeder Stunde schlimmer.
    Würde dieser Gott außerdem wissen, unter welchem Barolo-Fass Giacomo gerade schlief?
    Lange saß das kleine Windspiel vor dem Tuch. Doch es gab ihm keine Antwort.
    Nur weitere Fragen. Wieso erschien es ihm lebendiger als alle anderen Bilder, Fotografien und Skulpturen in diesem Raum?
    Das Tuch musste etwas ganz Besonderes sein, und unheimlich kostbar.
    Wie um alles in der Welt nur war es dann im Park des Schlosses Stupinigi gelandet?
     
    Giacomo genoss den Weg durch die verschneiten Straßen Turins, es war ein Fest der Düfte. Sie umspielten seine große trüffelförmige Nase und versuchten, ihn in Rosticcerias und Trattorias zu locken, versprachen Hochgenüsse aller Art, raffiniert von Meisterhand zubereitet. Die Aromen unterschieden sich von denen während der Trüffelsuche auf den Hügeln der Langhe. Dort waren sie stets von großer Strahl- kraft gewesen, denn frisch und rein war ihr Wesen. Giacomos Trifolao hatte nie viel gekocht, ihm reichte meist gutes Brot, Wurst, vor allem kleine Cacciatori aus reinem Schweinefleisch, Ziegenkäse – und selbstverständlich Trüffel sowie ein gut gefülltes Glas Barolo. Von Gemüse hielt er nicht viel, nur ein Glas Giardiniere stand stets bereit, denn in Salz und Weinessig hielt sich das gesunde Zeug länger. An seinem Geburtstag kochte sich der Trifolao immer Schnecken mit Lauch, großzügig mit Olivenöl übergossen. Daneben kannteer nur ein weiteres warmes Gericht, Soupa Grassa. Die dicke Suppe hatte er an den kältesten Tagen gekocht, wenn selbst der alte Bollerofen den Frost nicht mehr vertreiben konnte. Mit geröstetem Roggenbrot, Zwiebeln, Wacholderbeeren und Tomakäse. Der Duft war so intensiv gewesen, dass er noch tagelang in Giacomos Fell hing. Wie hatte er das geliebt!
    Doch was sich auf den Straßen Turins abspielte, was hier in die eisige Luft dampfte und sich zu einem Teppich von fremdartiger Struktur verwob, hatte er noch nie gerochen. Sein heimisches Alba war zwar auch eine Welt der Gassen, doch nicht zu vergleichen mit dem riesenhaften Turin. In Alba hatte Giacomo stets gewusst, wo die Grenzen waren, wo Straßen von Feldern und Wäldern abgelöst wurden. Turin schien einfach alles zu bedecken.
    Der Grundton bestand aber aus dem Duft von Kaffee, Kakao, Schokolade und Nougat. Die Röstaromen würzten die Stadt, selbst in den zugigsten Ecken waren sie zu spüren und lockten jeden Menschen mindestens einmal am Tag in eines der unzähligen Cafés, die wie in geheimer Absprache strategisch klug in der ganzen Stadt ihre Wohlgerüche verteilten. Diese waren so fein, dass sie wie Gewürze erschienen.
    Er blieb vor einem Ristorante stehen, auf dessen Schaufenster ein feuerspeiender Drache gemalt war, dessen Körper sich wand und drehte. Giacomo hob seine Nase in den Luftzug aus dem Inneren, ließ sich nicht von den an ihm vorbeieilenden Menschen stören, badete in dieser fremden Welt. Die dem Ristorante entströmenden Düfte waren so scharf, als bestünden sie aus geschliffenen Klingen. Die Speisen mussten von weit her stammen, die Gewürze waren so leuchtend aromatisch, das Geflügel ungewöhnlich gegart.
    Aber essen wollte er all dies nicht. Ihm reichten die ihmbekannten Genüsse. Er war zu alt für solcherlei Experimente. Die würden seiner Zunge, seinem Schlund und seinem Magen sicher nicht gefallen. Und auf diese drei hatte er immer gut achtgegeben. Gerade hier, in dieser überwältigenden Fremde, verlangte es ihn nach dem Geschmack der Heimat. Einen alten Baum goss man auch nicht plötzlich mit Milch statt mit Wasser. Obwohl er – auch als Pflanze – Wein als Dünger immer vorgezogen hätte.
    Doch das Essen musste warten. Giacomo wollte schnell herausfinden, wie er zurück zum Schloss gelangen konnte, um mit Niccolò und Canini vereint zu sein. Das würde ihm nur der Conte Rosso verraten können – und der hauste im prachtvollsten Park der Stadt. Deshalb behielt Giacomo die ganze Zeit über den Geruch des Flusses in der Nase, der wie ein Hauch in jeder Straße schwebte. Das Odeur war schwach, denn der Winter fesselte auch hier die Aromen in Bäumen, Flüssen und Seen. Doch der Po war ein mächtiger Strom, er ließ sich nicht so leicht einschüchtern. Noch hatte der Winter ihn nicht vollends verschlossen, noch atmete er.

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