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Blut & Barolo

Titel: Blut & Barolo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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nur ein großes schwarzes Loch?
    Das Papier bewegte sich immer noch spielerisch im leichten Wind, wie die Blüte eines Nebbiolo-Rebstocks. Es war Dagobert in die blutende Wunde am Bauch gestopft worden.
    Und zeigte Giacomos Gesicht. Es war eines der Fahndungsplakate.
    Die Spuren eines Bisses fanden sich darauf.
    Die anderen Lagotto-Mischlinge durften es niemals erfahren.
    Und er musste sie schnellstens in Sicherheit bringen.

 
     
    Kapitel 6
     
     
    HOHE AUDIENZ
     
     
    G roße, weiße Flocken fielen vom Himmel. Sie ließen all den schmierigen Matsch und die grauen Eishügel wieder frisch erscheinen. Der Tag hatte seinen Zenit bereits lange überschritten, doch Giacomo war nicht zurückgekehrt. Die Hundefänger mussten ihn erwischt haben. Oder ein Wagen hatte den manchmal so trägen Freund erfasst. Niccolò rollte sich noch enger zusammen, die frierenden Pfoten unter dem Körper gezogen. Warum hatte er Giacomo nicht begleitet? Er musste etwas tun. Jetzt. Denn Niccolò wollte nie wieder einsam sein.
    Entschlossen stand er auf. Er würde ihn finden! Unter jedem Wagen würde er nachsehen, in jeden Hinterhof schauen. Giacomo konnte auf ihn und seine schnellen Beine zählen! Diese Straße war der Freund hinuntergetrabt – er würde schneller als ein Adler darübersausen!
    Der kleine Park war nun voll mit vielen kleinen Menschen. Sie jauchzten und johlten, warfen Schneekugeln und legten sich mit Armen und Beinen rücklings rudernd in den Schnee. Ein kleiner Junge mit Pudelmütze raste auf eine vereiste Pfütze zu und rutschte unter freudigem Gejuchze etliche Meter, bevor er hart mit dem Hintern aufschlug. Das Heulen begann. Die umstehenden Kinder lachten, und der Nächste machte sich auf, seine Balancierkünste zu beweisen. Niccolò musste abbremsen, um der Schlitterbahn rechtzeitig auszuweichen. Für einen Augenblick nahm er wieder die Szenerie wahr, welche im Lauf nur aus Schlierenbestanden hatte, aus Kulissen, an denen es vorbeizurasen galt.
    So kam es, dass er nun das Auto erkannte.
    Obwohl er es nie zuvor gesehen hatte.
    Doch der alte Giacomo war ein großartiger Erzähler.
    Der Sportwagen sah aus wie ein Lutschbonbon. Keine Kanten und fast auf ganzer Breite der Front ein Rost wie aus dem Ofen. Komplett schwarz, nur vorne auf der Kühlerhaube ein weißes Pferd, die Vorderbeine wie zum Angriff erhoben. Es war derselbe Wagen, der Giacomo angestrahlt hatte, als dieser das Sindone fand. Und jetzt fuhr der Wagen zu einem prachtvollen Backsteinbau, der sich über drei Etagen erhob. Ein Banner spannte sich quer über die Straße, es zeigte Buchstaben, die Niccolò unverständlich blieben, dazu das Bild eines heulenden Wolfes.
    Der Wagen parkte fast genau vor dem Eingang. Freie Parkplätze existierten in Turin nicht, oder nur so kurz, wie Nebel brauchte, um sich in der stechenden Sonne aufzulösen. Niccolò wollte zu dem Auto rennen – als ein Käscher über ihm landete.
    »Nur ein blödes Windspiel! Hab ich doch gleich gesagt, dass es kein Lagotto ist. Völlig falsche Größe.«
    »Der ist reinrassig. Und ausgesprochen gepflegt. Wahrscheinlich nur kurz ausgebüxt, aus irgend’nem Hinterhof.«
    »Wenn wir den einsperren, haben wir bald die ganze Nachbarschaft gegen uns. Die mögen’s gar nicht, wenn sie ihre verzärtelten Lieblinge im Tierheim abholen dürfen.«
    »Mhm.«
    »Lass ihn wieder frei. Wir sind doch wegen des Lagotto hier! Einer von der Mailänder Truppe hat gestern Abend übrigens im Suff erzählt, dass er sich an der Mole Antonelliana rumtreiben soll. Da wollen sie heute schwer was auffahren.«
    »Dieses Windspiel ist herumgestreunt. Das ist verboten.«
    »Ich will nicht, dass sie mir in der Trattoria in die Pasta spucken, nur weil ich den Köter der Bedienung eingelocht habe.«
    Das Netz hob sich, Niccolò stürmte hinaus.
    »Hau ab, Miststück. Beim nächsten Mal bist du dran!«
    Verdammt! Der Fahrer war längst fort. Niccolò hatte ihn nur kurz gesehen. Die Nase wie ein Adler, die Haare an den Schläfen leicht ergraut und nach hinten gekämmt, die Augen hinter einer eckigen Sonnenbrille. Er trug einen ledernen Koffer, groß genug, um einen Hund hineinzustecken.
    Niccolò war innerhalb von Sekunden am Eingang. Rechts und links davon erhoben sich weißgraue Säulen. Das kleine Windspiel schreckte kurz hoch, als es vom anderen Ende der Via Giolitti ein Scheppern hörte, Uniformierte versperrten dort die Straße mit Gittern. Doch unbeirrt tat Niccolò dann einen Schritt ins Dunkel und wagte sich weiter und

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