Blut & Barolo
Überhaupt nicht. Es sind gute Hunde, musst du wissen. Nicht nur Daisy, die natürlich besonders, aber auch Donald. Er redet halt nicht gern. Das kommt bei uns Lagottos öfters vor. Und natürlich dieser Dagobert, er ist ein verdammt guter Anführer. Hart zu sich selbst, gönnt sich nichts, denn er weiß, dass er als Stärkster der drei alles zusammenhalten muss. Ein stolzer Lagotto. Sie haben großes Glück, dass er da ist.«
»Du musst ihnen alles erzählen.«
»Ja, das muss ich wirklich.«
»Dann mach es auch. Je eher, desto besser.«
»Sag mal, wann bist du eigentlich so klug geworden?« »War ich immer schon. Du bist nur schon zu alt, um so was zu bemerken!«
Giacomo sah sich um, die Sonne kroch wie eine faule Raupe vom Himmel. Gern hätte er sich hingelegt und neben seinem Freund geschlummert. Doch stattdessen stemmte er nun seine müden Knochen auf.
»Ich komme bald zurück, verlass dich darauf.«
Als Giacomo die Piazza Cavour verließ, hatte die Stadt sich verändert. Vor dem Duomo und auch an der prachtvollen Via Garibaldi standen Absperrgitter, Turin in ein Gefängnis verwandelnd. Doch für Giacomo bildeten sie kein Hindernis, er drückte sich einfach unter den Querstangen hindurch. Je dunker es wurde, desto weniger Menschen waren zu sehen. Das Risiko, erkannt zu werden, sank – zudem hatte er die Leine im Maul. Eventuell etwas zu auffällig. An der nächsten Straßenecke begegnete Giacomo trotzdem einem Hundefänger. Zumindest seinem Transporter. Er parkte am Seitenrand, auf der Hecktür war das Bild eines Hundes hinter Gittern zu sehen, der an den Stäben rüttelte, daneben zwei grinsende Männer mit erhobenen Daumen.
Giacomo hätte einen großen Bogen darum machen sollen.
Stattdessen ging er darauf zu.
Es war so still an diesem Morgen, dass er das Schnarchen des Fahrers hören konnte. Er hätte gerne die Reifen zerbissen oder die Motorkabel. Doch er war kein Marder und musste sich damit begnügen, einen großen Haufen auf die Stufe zum Fahrerhaus zu machen. Er teilte es sich so ein, dass auch der Beifahrer etwas abbekam.
Es war sein angenehmstes Geschäft seit langem.
Und es lenkte ihn zumindest kurz von der unangenehmenAufgabe ab, die vor ihm lag. Er sah die drei Lagotto-Mischlinge schon vor sich. Dagobert würde es sicher verstehen. Er begriff, dass man zu den Seinen halten musste. Donald würde sich nichts anmerken lassen – was immer er fühlte. In eine Ecke würde er sich verkriechen, seine enttäuschten Hoffnungen verbergend. Und Daisy? Nein, darüber wollte er nicht nachdenken. Ihm selbst würde all das natürlich überhaupt nichts ausmachen. Abschiede gehörten zum Leben.
Giacomo hielt an, um sich am Ohr zu kratzen. Obwohl es gar nicht juckte.
Er bog von der Via Giuseppe Verdi in die Gasse ab, wo sich das Versteck der Lagottos befand. Sie lag still und kühl wie das Innere eines Kühlschranks. Es war kein Bild des Friedens, sondern eines der Leblosigkeit. Es gab keine Bäume, nicht einmal Müll, der vom Wind getrieben über die Betonplatten torkelte. Nur ein einzelnes Blatt Papier bewegte sich, das an einem Sack klebte. Da der Wind in Giacomos Rücken blies, konnte er nicht riechen, was sich darin befand. So war er überrascht, als er neben dem verschrammten Kleinwagen keine alte Kleidung fand, keinen Müll und keine vergessene Turntasche. Sondern einen leblosen Hund. Einen Lagotto-Mischling. Dagobert.
Er lag in einer Lache dunklen Blutes, Pfotenspuren zeigten die Bewegungen seines Schlächters. Die Augen Dagoberts waren starr geweitet vor Angst, die feinen Äderchen geplatzt. Er musste schrecklich gelitten haben, sein Körper war bestialisch entstellt. Die Beine abgebissen, der Schwanz, seine Unterschenkel ebenfalls, etliche Schrammen überzogen den restlichen Leib. So unvorstellbar es war, sein Gegner schien ihn so lange wie möglich am Leben gehalten zu haben, während er ihn quälte und Stück für Stück auseinandernahm – so wie es manche Kinder mit Spielzeugpuppen taten.
Dagobert musste gejault haben.
Unfassbar laut. Doch niemand war ihm zu Hilfe geeilt. Die Menschen in dieser Gasse schienen ausgesprochen fest zu schlafen.
Oder der Tod eines guten, stolzen Lagotto, der seine Geschwister beschützt und ihr Leben unzählige Male gerettet hatte, war ihnen verdammt noch mal egal.
Giacomo hätte am liebsten in die gemauerten Wände gebissen und die ganze Stadt zusammenstürzen lassen, so groß war seine Wut. Hatte diese Stadt denn kein Herz? Klaffte in ihrem Inneren
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