Blut der Wölfin
Lebensmittel zu besorgen. Während die Männer das erledigten, blieb ich im Geländewagen sitzen und hörte Radio. Clay blieb bei mir; nachdem ich mir allerdings fünf Minuten lang sein Gemaule darüber angehört hatte, dass er Luft brauchte und sich die Beine vertreten wollte, warf ich ihn aus dem Auto, schloss die Türen ab und ließ ihn sein Training damit bestreiten, dass er um den Wagen herumtrabte und an die Fenster hämmerte.
Verlässliche Nachrichten über die Cholerasituation zu finden war gar nicht einfach. Der nationale Sender CBC ließ eine Reihe von Amtspersonen aufmarschieren, die allesamt die gleiche Aussage machten – »Es ist alles unter Kontrolle«. Als ob dieser Satz wahr werden würde, wenn man nur genug Leute dazu brachte, ihn auszusprechen.
Dann waren da die Privatsender. Einer präsentierte einen Historiker, der höchst anschaulich über die Ausbrüche der Cholera im neunzehnten Jahrhundert berichtete. Bei einem außerhalb von Toronto ansässigen Rocksender beschrieb man die Situation in der Stadt wiederholt und genüsslich als »Epidemie«, spekulierte darüber, dass die hohe Bevölkerungsdichte in der Innenstadt sie ausgelöst hatte, und gratulierte sich selbst dazu, dass man anderswo lebte. Ich hatte gerade eine vormittägliche Talkshow erwischt, als Jeremy ans Fenster klopfte. Ich öffnete die Türen und verzog mich wieder auf den Rücksitz, während die Männer die Vorräte ins Auto luden.
Zurück zum Hotel. Als wir das Foyer betraten, erzählte Nick uns gerade von einer Dienstreise in der vergangenen Woche nach Cleveland, wo er an den Lohnverhandlungen in einer der Fabriken seines Vaters teilgenommen hatte.
Clay sah zu Antonio hin. »Was hat er getan, um das zu verdienen?«
Antonio lachte. »Das war keine Strafe. Er ist freiwillig gegangen.«
Ich stieß Nick an. »Was hast du also angestellt … und ihm noch nicht erzählt?«
»Ha, ha. Ich hab’s ganz ohne niedere Beweggründe angeboten. Ich hab dir doch gesagt, ich versuche mehr über den Betrieb zu lernen.«
»Und wie ist es gegangen?«
»Es war … interessant.«
»Mit anderen Worten, sterbenslangweilig«, sagte Clay, gerade als wir an der Lounge vorbeikamen. »Und das auch noch ausgerechnet in Cleveland.«
»So übel ist Cleveland nicht …«
»Jeremy!«, rief eine Frauenstimme.
Wir drehten uns auf einen Schlag um. Der Ruf war aus der Lounge gekommen. Dort stand gerade eine Frau aus einem der riesigen Sessel auf, die Hand zu einem unsicheren Winken erhoben und ein noch unsichereres Lächeln im Gesicht. Sie trug ein gelbes Sommerkleid, das einen großzügigen Blick auf ihre nackten Beine zuließ. Rotes Haar fiel ihr über den Rücken, die Sorte von kunstvoll-kunstlosem Lockengewirr, die man normalerweise nur auf Zeitschriftentiteln zu sehen bekommt.
»Jaime«, sagte Jeremy und ging auf sie zu.
Sie tat einen Schritt vorwärts … und stolperte über den Koffer zu ihren Füßen. Jeremy machte einen Satz, um sie abzufangen, und wir rannten alle zu ihr hinüber, mit Ausnahme von Clay, der einen leisen Seufzer ausstieß, bevor er die Nachhut bildete.
Jaime fand mit einer gemurmelten Entschuldigung das Gleichgewicht wieder, wobei ihr Gesicht so rot wurde wie ihr Haar. Dann bückte sie sich nach ihrem Koffer und stieß prompt mit Jeremy zusammen, der ihn bereits aufhob. Weitere Entschuldigungen.
»Hey, Jaime«, sagte ich, während ich näher trat. »Das ist eine Überraschung.«
Hinter mir machte Clay ein Geräusch, als sei es für ihn absolut keine Überraschung. Jaimes Blick fiel auf mich, und mit einem Seufzer der Erleichterung kam sie an Jeremy vorbei auf mich zu.
»Elena. Herrgott, du siehst ja …«
»Gigantisch aus?«
»›Fantastisch‹ wollte ich sagen. Wie geht’s dem Baby? Strampelt es schon? Hält dich nachts wach?«
»Noch nicht«, sagte ich. »Ich …«
»Was willst du hier, Jaime?«, fragte Clay.
Ich starrte ihn wütend an.
»Was?«, fragte er. »Wenn sonst niemand fragt …«
»Ich bin mir sicher, ihr fragt euch alle das Gleiche«, sagte Jaime. »Ich hatte gestern Abend eine Show und habe Jeremys Nachricht erst nach Mitternacht bekommen.«
»Also bist du ins Flugzeug gestiegen, um die Antwort persönlich zu geben?«, fragte Clay.
Jaime lachte nur. »So ähnlich. Ich habe für den kommenden Winter eine Show in Toronto geplant und hatte sowieso vor, mir mögliche Räumlichkeiten dafür anzusehen. Ich verlasse mich bei so was ungern auf andere Leute – die Organisatoren finden immer
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