Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Schlüssel zum Haus und zu ihrer Wohnung. Er kannte vermutlich den Code der Alarmanlage. Außerdem war er eng mit ihr befreundet, und die Polizei hat bereits gefragt, ob die beiden vielleicht letzte Nacht einen Streit oder eine Auseinandersetzung hatten. In anderen Worten, die Cops nehmen an, dass sie ein Paar waren.
Marino wird nicht der einzige Verdächtige sein. Schließlich habe ich gestern Abend die Sushi-Lieferung nach oben gebracht. Ich könnte Jaime den Tod in einer weißen Papiertüte überreicht haben.
»Ich bleibe hier und tue mein Bestes«, sage ich.
Ich beende das Telefonat und stehe allein im Schlafzimmer, wo Jaimes Leiche liegt und der Polizist vom Savannah-Chatham Police Department auf der Schwelle wartet. Auf seinem Namensschild steht T. J. Harley. Er lässt den Blick über die Leiche und durch den Raum schweifen und hat keine Ahnung, wonach er eigentlich suchen und ob er wie verlangt bei mir bleiben, sich lieber zu seinem Partner gesellen oder seinen Vorgesetzten oder einen Detective von der Mordkommission anrufen soll. An seinen Augen erkenne ich, dass sich seine Gedanken überschlagen.
»Was, außer der durchwühlten Handtasche, bringt Sie darauf, dass es ein verdächtiger Todesfall sein könnte?«, fragt er.
»Wir wissen nicht, ob sich jemand an der Handtasche zu schaffen gemacht hat. Sie könnte es auch selbst gewesen sein«, erwidere ich.
»Wonach hat sie gesucht, wenn nicht nach Tabletten?«
»Wir wissen nicht, ob es eine Überdosis ist.«
»Hatte sie immer viel Bargeld dabei?«
»Keine Ahnung, was in ihrer Brieftasche ist und wie viel Geld sie mit sich herumgetragen hat«, antworte ich.
»Das ist nämlich ein mögliches Motiv.«
»Wir wissen nicht, ob etwas gestohlen wurde.«
»Ob sie erwürgt oder erstickt worden ist?«
»Keine Strangulierungsmale, keine Petechien«, erkläre ich. »Nach dem Augenschein zu urteilen, gibt es keine Hinweise darauf. Aber sie muss sorgfältig untersucht werden. Eine Autopsie. Im Moment können wir noch nichts über die Todesursache sagen.«
»Und was wissen Sie über ihre Beziehung zu ihrem Freund?« Er meint Marino.
»Er hat für sie gearbeitet, als er beim NYPD war, und sie seit kurzem als Berater unterstützt. Verständlicherweise ist er bestürzt.«
»NYPD?«
»Ermittlungen. Er war der Abteilung für Sexualdelikte zugeteilt, die sie geleitet hat.«
»Also hatten die beiden vielleicht etwas miteinander«, stellt er fest.
»Als Erstes sollten wir herausfinden, ob sie gestern Abend Sushi bestellt hat«, entgegne ich. »Und keine voreiligen Schlüsse ziehen. Wir dürfen nicht automatisch annehmen, dass ein ihr nahestehender Mensch große Probleme und deshalb etwas Schreckliches getan hat.«
»Meistens ist es aber so.«
»Meistens? Ich würde sagen, oft, aber nicht immer oder meistens.«
»Nein, wirklich.« Er ist sich seiner Sache sehr sicher. »Man nimmt zuerst das nähere Umfeld unter die Lupe.«
»Man schaut sich dort um, wohin die Beweise deuten«, widerspreche ich.
»Das mit dem Sushi war ein Witz, oder?«
»Nein.«
»Oh. Ich dachte schon, sie wollten andeuten, es könnte am rohen Fisch liegen. Also ich würde das Zeug ja nicht anrühren. Vor allem nicht jetzt. Ölpest. Radioaktives Wasser. Vielleicht esse ich ja gar keinen Fisch mehr. Auch nicht gekocht.«
»Im Müll sind Behälter vom Lieferservice, eine Tüte und die Quittung. Im Kühlschrank stehen die Reste«, teile ich ihm mit. »Bitte sorgen Sie dafür, dass weder Sie noch Ihr Partner etwas davon anfassen. Ich würde Ihnen raten, sich von der Küche fernzuhalten und alles Ermittler Chang oder Dr. Dengate zu überlassen. Wer immer auch damit beauftragt wird.«
»Ja, Sammy ist der Ermittler, nicht ich. Auf gar keinen Fall mache ich mich an seinem Tatort zu schaffen. Nicht dass ich das nicht könnte. Vielleicht besuche ich bald einen Lehrgang. Ich glaube nämlich, dass ich mich gut dafür eignen würde. Sie wissen schon, das Auge fürs Detail. Das ist das Allerwichtigste. Ich bin richtig zwanghaft, was Details betrifft. Ich habe schon mal mit ihm zusammengearbeitet. In dem Fall mit der Überdosis, von dem ich Ihnen erzählt habe.« Officer Harley greift zum Funkgerät. »Könnte Kontakt mit einer gefährlichen Substanz sein. Fass nichts an, weder in der Küche noch im Mülleimer oder sonst irgendwo«, sagt er.
»Was?«, hallt die Stimme seines Partners durchs Schlafzimmer.
»Fass einfach nichts an. Verstanden?«
»Zehn-vier.«
Ich beschließe, mich nicht mehr zum Thema
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