Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
ich, dass die Alarmanlage nicht eingeschaltet ist. »Scheiße!« Marino wirft einen Blick auf das Tastenfeld an der Tür und nimmt die unheilverkündende Information ebenfalls wahr. Sein gebräuntes Gesicht ist schweißnass. Seine Uniform hat vom Regen einen gräulichen Ton angenommen. »Sie schaltet sie immer ein. Auch wenn sie zu Hause ist. Hallo! Jaime, bist du da? Scheiße.«
In der Küche sieht es genauso aus wie letzte Nacht, als ich gegangen bin. Der einzige Unterschied ist ein Döschen mit Tabletten gegen Magenübersäuerung, das ganz sicher noch nicht dort stand, als ich das Essen weggeräumt und das Geschirr gespült habe. Außerdem befindet sich ihre große schwarze Handtasche nicht mehr an der Stuhllehne, wo sie sie am Schulterriemen aufgehängt hat, als sie mit dem Essen vom Broughton and Bull nach Hause kam. Jetzt liegt die Tasche auf dem Ledersofa im Wohnzimmer. Der Inhalt ist auf dem Couchtisch verstreut. Allerdings halten wir uns nicht damit auf, nachzuschauen, ob etwas fehlt oder was sie gesucht haben könnte. Chang und ich folgen Marino, der mit weiten Schritten über den Flur mit dem Parkettboden ins Schlafzimmer läuft.
Durch die offene Tür erkenne ich ein schlittenförmiges Bett mit zerknitterter grünbrauner Bettwäsche und Jaime in einem rotbraunen Bademantel, der verrutscht ist und offensteht. Sie liegt auf dem Bauch, die Hüften sind zur Seite verdreht, Arme und Beine baumeln über die Bettkante. Ihre Körperhaltung ist nicht die eines Menschen, der im Schlaf gestorben ist, und erinnert an die von Kathleen Lawler, so als habe sie ihre letzten Minuten in einem qualvollen Todeskampf verbracht. Die Nachttischlampen brennen. Die Vorhänge sind zugezogen.
»Scheiße«, wiederholt Marino. »Mein Gott«, fügt er hinzu, während ich näherkomme. Der Geruch von geröstetem Obst und Torf steigt mir in die Nase. Eine Flüssigkeit, vermutlich Scotch, ist auf dem Nachttisch verschüttet. Daneben befinden sich ein umgekipptes Glas und die Ladestation für das schnurlose Telefon.
Ich berühre ihren Hals, um den Puls zu fühlen, aber ihr Körper ist kalt und die Totenstarre schon weit fortgeschritten. Ich sehe Chang und dann einen der uniformierten Polizisten an, der gerade hereinkommt.
»Ich bin gleich zurück«, sagt Chang zu mir. »Ich muss etwas aus dem Auto holen«, fügt er hinzu und geht.
Der Polizist starrt auf die Leiche, die über die rechte Bettkante hängt. Er macht einen Schritt vorwärts und nimmt das Funkgerät vom Gürtel.
»Bleiben Sie zurück, und fassen Sie nichts an«, zischt Marino.
»Hey, immer mit der Ruhe.«
»Es gibt keinen Grund für Sie, in diesem Zimmer zu sein, verdammt, also raus hier«, bricht es aus Marino heraus.
»Reg dich nicht auf«, sage ich zu Marino. »Bitte.«
»Verdammt, ich kann es einfach nicht glauben.«
»Je weniger Menschen Kontakt mit der Leiche haben, desto besser«, wende ich mich an den Polizisten. »Wir wissen wirklich nicht, womit wir es hier zu tun haben«, füge ich hinzu, worauf er einige Schritte zurückweicht und an der Türschwelle stehen bleibt. Marino betrachtet die Tote und wendet dann den Blick ab. Sein Gesicht ist stark gerötet.
»Soll das heißen, dass es etwas ist, das wir uns holen könnten? Etwas Ansteckendes?«, fragt der Polizist.
»Ich bin nicht sicher, und deshalb ist es das Beste, wenn Sie Abstand halten und nichts berühren.« Ich lasse den Blick über ihren Körper gleiten, kann jedoch nichts Aufschlussreiches erkennen. Nichts, das mir weiterhelfen würde. »Lucy und Benton sollen draußen warten«, sage ich zu Marino. »Lucy braucht sich das nicht anzutun. Am besten schließt du die Wohnungstür ab.«
»O mein Gott!« Marinos Stimme zittert, seine Augen sind blutunterlaufen und glänzen.
»Sei so gut und schließ die Tür ab«, fordere ich Marino erneut auf. »Und Sie bitten Ihren Partner, draußen Posten zu beziehen, damit niemand die Wohnung betritt«, wende ich mich an den Polizisten, der kurzes rotes Haar und tiefblaue Augen hat. »Mehr können wir nicht tun. Und wir sollten nichts anfassen. Das hier ist ein verdächtiger Todesfall, weshalb wir die Wohnung wie einen Tatort behandeln müssen. Ich fürchte, dass Gift im Spiel ist. Also machen wir erst einmal eine Pause, um keine Beweismittel zu vernichten. Mir wäre es wirklich lieber, wenn Sie hinausgehen würden, weil wir nicht wissen, womit wir es zu tun haben«, wiederhole ich. Als Marino den Raum verlässt, hallen seine Schritte laut auf dem Parkett
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