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Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Titel: Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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Berührung bedeutet, und die Verzweiflung, die von ihrer Handfläche an meinem Rücken ausgeht. Das hat sie schon lange nicht mehr getan, nur damals, als kleines Mädchen, wenn sie mich beschützen wollte, Angst hatte oder befürchtete, in einer Menschenmenge von mir getrennt zu werden.
    Seit Marino und ich Jaime heute Morgen gegen eins verlassen haben, haben wir nichts mehr von ihr gehört. Kein Anruf, keine SMS, nichts. Doch es könnte eine vernünftige Erklärung dafür geben, wie ich Lucy gegenüber beteuert habe. Wir bräuchten nicht gleich den Teufel an die Wand zu malen. Obwohl ich in Wahrheit mit dem Schlimmsten rechne. Mein momentaner Zustand ist mir so schmerzlich vertraut wie ein bedrückender alter Freund, ein düsterer Begleiter, das tragische Leitmotiv meines Lebenswegs. Es ist ein Gefühl, als versänke alles immer tiefer in der Dunkelheit, in einem Ort ohne Licht und Boden.
    Auf der zwanzigminütigen Fahrt hierher hat sich Lucy zusammengerissen. Allerdings ist sie blass, als sei ihr übel, und sie wirkt gleichzeitig verängstigt und zornig. Ich sehe, wie verschiedene Gefühle in ihren ausdrucksstarken grünen Augen aufblitzen, und habe einer ihrer Äußerungen während der Fahrt entnommen, welches Chaos in ihr tobt. Sie hat erzählt, sie habe zuletzt vor sechs Monaten mit Jaime gesprochen und ihr dabei vorgeworfen, sie lasse sich aus den falschen Gründen auf eine Sache ein. Auf was einlassen? , fragte ich. Darauf, Leute zu verteidigen und sie freizukriegen, indem sie ihre Lügen in Wahrheiten ummünzt, falls es nötig wird, denn das tut sie auch bei sich selbst , sagte Lucy in dem dröhnenden, stickigen Transporter, als es anfing zu regnen, und ihr Tonfall war zornig und voller Angst. Ich habe sie gewarnt, weil es für mich so offensichtlich war , sprach sie weiter. Ich habe ihr genau erklärt, was sie da täte, und sie hat es trotzdem getan .
    »Geh voran«, sagt Benton zu Marino.
    Sie wurde immer waghalsiger , verkündete Lucy, während wir in das Unwetter hineinfuhren. Ihre Stimme zitterte leicht, als sei sie außer Atem.
    »Hatte sie in letzter Zeit Probleme?«, erkundigt sich einer der Polizisten bei Marino. »Private, finanzielle oder sonstige?«
    »Nein.«
    »Wette, sie macht nur einen Ausflug und hat niemandem Bescheid gegeben.«
    »Das passt nicht zu ihr«, protestiert Lucy. »Auf gar keinen Fall, verdammt.«
    »Und ihr Telefon hat sie zu Hause vergessen. Oder der Akku ist leer. Haben Sie eine Vorstellung davon, wie oft das hier passiert?«
    »Sie macht keinen Scheißausflug«, zischt Lucy, die hinter mir steht.
    Marino wischt sich das nasse Gesicht am Ärmel ab. Sein Blick huscht umher, wie immer, wenn er trotz seiner abweisenden, unhöflichen Art ausgesprochen besorgt ist. Die Fahrstuhltüren öffnen sich, und alle bis auf Lucy und Benton drängen sich hinein. »Ich komme mit«, sagt Lucy zu mir.
    »Ich muss zuerst allein reingehen.«
    »Ich will aber mit.«
    »Nicht jetzt.«
    »Ich muss!«, beharrt sie. Benton legt den Arm um sie und zieht sie an sich. Das tut er nicht nur, um sie zu trösten. Er will auch verhindern, dass sie sich losreißt, die Treppe hinaufläuft und sich Zutritt zur Wohnung verschafft.
    »Ich rufe an, sobald ich drinnen bin«, verspreche ich Lucy durch den Spalt zwischen den zugleitenden Türen. Dann ist sie fort. Der Schmerz in meiner Brust ist unbeschreiblich heftig.
    Der aus schimmerndem altem Holz und poliertem Messing bestehende Aufzug setzt sich ruckartig in Bewegung, während ich den Polizisten erkläre, dass sich Jaime Berger bei niemandem gemeldet hat. Und ein solches Verhalten passe einfach nicht zu ihr. Sie sei heute in Dr. Dengates Institut erwartet worden und nicht erschienen, ohne abzusagen. Ich betone, dass Jaime eine bekannte Staatsanwältin aus New York ist und dass wir Grund haben, um ihr Leben zu fürchten.
    »Wann haben Sie sie zuletzt gesehen?«, fragt einer der Polizisten Marino.
    »Gestern Nacht.«
    »Und war da etwas Außergewöhnliches?«
    »Nein.«
    »Haben sich alle vertragen?«
    »Ja.«
    »Es gab also keinen Streit?«
    »Nein.«
    »Vielleicht eine kleine Auseinandersetzung?«
    »Verschonen Sie mich mit diesem Mist«, knurrt Marino die Polizisten an, als der Aufzug mit einem Ruck stehenbleibt.
    Ich habe furchtbare Angst und weiß gleichzeitig, was uns erwartet. Dann hasten wir aus dem Aufzug zum Ende des Flurs, wo Marino die schwere Eichentür aufschließt.
    »Jaime?«, dröhnt seine laute Stimme, als wir die Wohnung betreten. Sofort bemerke

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