Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
aus grauem Granit, die City Hall mit ihrer goldenen Kuppel und schließlich mein Hotel erreiche, ein würdevolles Hyatt Regency am Fluss, dort wo die Schleppkähne und Touristenboote vor Anker liegen. Am anderen Ufer befindet sich die elegante Ferienanlage Weston Resort, ein Stück weiter flussabwärts ragen Kräne wie riesige Gottesanbeterinnen über Werften und Lagerhäusern auf. Das Wasser ist ruhig und hat die graugrüne Farbe von altem Glas.
Ich steige aus und entschuldige mich beim Parkwächter, der mit seiner weißen Jacke und den schwarzen Bermudashorts sehr karibisch aussieht. Ich warne ihn vor meinem launischen und unzuverlässigen Mietwagen und fühle mich verpflichtet, ihm mitzuteilen, dass ich eigentlich etwas anderes bestellt hatte, dass der Transporter nicht die Spur halten kann und die Bremsen schlecht sind. Dann greife ich nach der Reisetasche und meinen anderen Sachen. Eichen, Magnolien und Palmen rauschen in der warmen Brise. Die Autos, die über die backsteingepflasterte Straße holpern, klingen wie der Regen, der inzwischen aufgehört hat. Der Himmel zeigt sich hie und da blau, während die Sonne untergeht und es langsam dämmert. Eigentlich sollte ich die Reise in diesen mir so vertrauten Teil der Welt als willkommene Abwechslung und angenehme Verschnaufpause empfinden. Aber stattdessen fühle ich mich bedroht. So, als hätte ich Grund, mich zu fürchten. Ich wünsche, Benton wäre hier oder ich wäre niemals hergekommen. Warum habe ich nicht auf ihn gehört? Ich muss mich sofort mit Jaime Berger treffen.
In der Hotelhalle sieht es aus wie in den meisten Hyatts, in denen ich schon abgestiegen bin: ein geräumiges Atrium, umgeben von sechs Etagen mit Zimmern. Während ich mit dem gläsernen Aufzug nach oben fahre, lasse ich mein Gespräch mit der jungen Frau an der Rezeption noch einmal Revue passieren. Sie hat nämlich behauptet, meine Reservierung sei vor einigen Stunden storniert worden. Als ich widersprach, das könne schlecht möglich sein, entgegnete sie, sie habe den Anruf kurz nach Antritt ihrer Schicht um zwölf selbst entgegengenommen. Ein Mann habe telefonisch abgesagt. Ganz gleich, wer es auch gewesen sein mag, jedenfalls hatte er meine Reservierungsnummer und auch sonst alle Daten parat und hat sich vielmals entschuldigt.
Ich habe mich bei der Empfangsdame erkundigt, ob der Anruf aus meinem Büro in Cambridge kam, worauf sie erwiderte, sie sei davon ausgegangen. Meine Frage, ob der Mann Bryce Clark geheißen habe, konnte sie nicht mit Sicherheit beantworten. Daraufhin meinte ich, dass mein Büro möglicherweise angerufen habe, um die Reservierung zu bestätigen, nicht um sie zu stornieren, sodass es sich bestimmt um ein Missverständnis handle, aber sie schüttelte den Kopf. Ganz sicher nicht. Laut Aussage der Empfangsdame habe der Anrufer mit der Begründung storniert, Dr. Scarpetta bedaure es sehr, nicht nach Savannah kommen zu können, da es eine ihrer liebsten Städte sei. Er hoffe, dass wegen der Absage in letzter Minute keine Kosten entstehen würden. Angeblich hätte ich in Atlanta meinen Anschlussflug verpasst und könne deshalb den hier angesetzten Termin nicht wahrnehmen. Der Mann sei ziemlich gesprächig gewesen, fügte die Empfangsdame hinzu, was mich zu dem Schluss bringt, dass es mein extrovertierter Verwaltungschef Bryce war, der mich noch immer nicht zurückgerufen hat.
Das stornierte Zimmer passt zum Transporter, zu Kathleen Lawlers Zettel, zum öffentlichen Telefon und zu allen anderen heutigen Ereignissen, und ich beruhige mich damit, dass ich ja bald im Bilde sein werde. Ich öffne die Tür und betrete ein Zimmer mit Meerblick, als gerade ein Containerschiff, so hoch wie das Hotel, lautlos in Richtung offenes Meer gleitet. Als ich versuche, Benton zu erreichen, meldet er sich nicht. Also schicke ich ihm eine SMS, um ihm mitzuteilen, dass ich eine Verabredung hätte. Außerdem gebe ich ihm die Adresse, die Jaime mir genannt hat, damit ein vertrauenswürdiger Mensch weiß, wo ich bin. Allerdings verrate ich ihm nicht, mit wem ich verabredet bin oder dass ich mich mulmig fühle und nahezu jeden verdächtige. Während ich meine Reisetasche auspacke, überlege ich, ob ich mich umziehen soll, entscheide mich aber dagegen.
Jaime Berger ist hier in Georgia auf einer Mission, und offenbar hat sie Kathleen Lawler damit beauftragt, ein Treffen mit mir zu arrangieren, während ich hier bin. Jaime könnte mich sogar eigens hierhergelockt haben. Doch ganz gleich, wie ich
Weitere Kostenlose Bücher