Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
ich habe die Scheibenwischerblätter gewechselt. Und da ich gerade schon dabei war, habe ich ein bisschen für Ordnung gesorgt«, antwortet er, während wir, vorbei an Restaurants und Läden in Häusern aus Backstein und Granit, die West Bay entlangfahren. Die Straße wird von Eichen, Magnolien und Kreppmyrten gesäumt.
Marino trägt auch Arbeitskleidung, allerdings hat er seine eigenen Sachen mit Bedacht ausgewählt – die Sommeruniform des CFC, bestehend aus einer khakifarbenen Cargohose, einem beigen Polohemd aus einem leichten Baumwollgemisch sowie Turnschuhe aus Netzmaterial und Wildleder. Sein kahler Schädel und die sonnenverbrannte Nasenspitze werden von einer Baseballkappe geschützt, und er trägt eine dunkle Brille. Außerdem hat er Sonnencreme aufgetragen, die sich wässrig und weiß in den tiefen Falten seines verschwitzten Halses absetzt.
»Danke, dass du daran gedacht hast, Arbeitskleidung für mich einzupacken«, sage ich zu ihm. »Wann hast du das denn gemacht?«
»Bevor ich losgefahren bin.«
»Darauf wäre ich nie gekommen.«
»Ich hätte dir die Khakiuniform mitbringen sollen. Bestimmt schwitzt du wie der Teufel. Offenbar war ich nicht ganz bei der Sache.«
»Wahrscheinlich hast du einfach in die Tasche gestopft, was du beim Herumkramen finden konntest. In Massachusetts war es ein bisschen zu kalt für die Sommeruniform. Die Khakisachen sind in einem Schrank bei mir zu Hause. Wenn du Bryce gefragt hättest …«
»Ja, schon gut. Aber ich wollte ihn nicht einweihen. Je mehr er weiß, desto schwerer fällt es ihm, den Mund zu halten. Außerdem macht er gern aus jeder Mücke einen Elefanten. Er hätte gepackt wie für eine Modenschau und mich mit einem Überseekoffer losgeschickt.«
»Du hast also gepackt, bevor du losgefahren bist«, wiederhole ich. »Und wann genau war das?«
»Ich habe ein paar Sachen zusammengesucht, als ich das letzte Mal im Büro war. Ich bin nicht ganz sicher, am 14. oder am 15., auch wenn ich keine Ahnung hatte, was mich hier erwartet.«
Er biegt auf den US-17 ein und fährt nach Süden. Die Luft, die zum Fenster hereinweht, ist heiß wie in einem Backofen.
»Ich denke, dir war sehr wohl bewusst, was dich erwartet«, verbessere ich ihn. »Warum legen wir nicht die Karten auf den Tisch?«
Bevor ich unser Frühstück aus der Tüte zwischen den Sitzen hole, nehme ich zusätzliche Servietten aus dem Handschuhfach und breite sie auf meinem Schoß aus.
»Es wäre hilfreich, wenn du zugeben würdest, dass du hierher wolltest, um Jaime zu helfen, als du dich so kurzfristig entschieden hast, Urlaub zu nehmen«, sage ich zu ihm. »Du wusstest außerdem, dass ich bald nachkommen würde, und zwar ohne den wahren Grund zu kennen und deshalb mit kaum mehr Gepäck als die Kleider, die ich am Leibe hatte.«
»Ich habe doch versucht, dir zu erklären, warum ich dich nicht vorwarnen konnte.«
»Ja, das hast du tatsächlich. Und ich bin sicher, dass du von deiner Begründung überzeugt bist. Ganz im Gegensatz zu mir. Eigentlich sollte ich es auch nicht als deine Begründung bezeichnen, weil Jaime es dir eingeflüstert hat.«
»Ich verstehe nicht, warum es dich nicht interessiert, dass das FBI dir nachspioniert.«
»Weil ich es nicht glaube. Und wenn doch, langweilen die sich bestimmt zu Tode. So, welches soll ich für dich aufmachen? « Ich betrachte die warmen Brötchen in ihren gelben, von Butter glitschigen Einwickelpapieren.
»Mit Ausnahme von deinem ist auf allen das gleiche drauf.«
»Gut, ich glaube, ich erkenne meins, weil es nur halb so schwer ist wie die anderen.« Ich entfalte weitere Servietten und lege sie Marino auf den Oberschenkel. »Ich hätte gern ein wenig Klarheit. Und zwar nicht, was das FBI betrifft, sondern dich.«
»Werd nicht wieder sauer.«
»Ich will Klarheit, keinen Streit. Hattest du die Wohnung in Charleston bereits gemietet, als Jaime vor zwei Monaten im CFC anrief und du mit dem Zug nach New York gefahren bist, um dich heimlich mit ihr zu treffen?«
»Ich habe mit dem Gedanken gespielt.«
»Das war nicht meine Frage.«
Ich wickle ein Brötchen mit frittiertem Steak, Eiern und Käse aus. Er nimmt es in seine riesige Hand, und ein Drittel davon verschwindet mit dem ersten Bissen. In Butter getränkte Krümel rieseln auf seinen von einer Serviette geschützten Schoß.
»Ich habe mich mit dem Thema beschäftigt«, antwortet er mit vollem Mund. »Ich schaue mir schon seit einer Weile Mietwohnungen in der Umgebung von Charleston an. Eigentlich
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