Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
vollständig erhaltene blutige Schuhabdrücke auf. Im weißen Spülbecken sind Blutreste und zwei zusammengeknüllte blutige Geschirrtücher zu erkennen. Auf der Arbeitsplatte steht ein Teller aus zartem Porzellan mit einem angebissenen Sandwich darauf. Überall sind Blutschmierer. Daneben liegen ein Stück gelber Käse und ein angebrochenes Päckchen Kochschinken. Eine Nahaufnahme des Messergriffs zeigt noch mehr Blutspuren.
Das Weißbrot und die Gläser mit Senf und Mayonnaise wurden nicht weggeräumt. Außerdem sind da noch zwei leere Flaschen Bier, Marke Sam Adams. Im Gäste-WC bedecken Blutspritzer und Schuhabdrücke den grauen Marmorboden. Pfirsichfarbene Gästehandtücher aus Leinen, blutig und zusammengeknüllt, liegen neben dem Waschbecken. Dazu eine umgekippte Flasche Flüssigseife mit Lavendelduft mit blutigen Fingerspuren darauf. Ein Stück Seife schwimmt in einer blutigen Wasserlache in einer muschelförmigen Seifenschale. Dann die nicht abgezogene Toilette. Auf der Suche nach den Ergebnissen der Fingerabdruckanalyse blättere ich die Unterlagen durch. Wo sind die Laborberichte? Hat Colin sie dazugelegt?
Endlich finde ich die vom GBI durchgeführte Analyse der Fingerabdrücke. Die blutigen Spuren auf Seifenflasche und Küchenmesser stammen von ein und derselben Person, konnten aber nicht zugeordnet werden. Es gab keine Übereinstimmung im Automated Fingerprint Identification System, wo die Fingerabdrücke aller, die einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind, gespeichert werden. Allerdings hätte es im vergangenen Februar, neun Jahre später, als Dawn Kincaid verhaftet und erkennungsdienstlich behandelt wurde, eine geben müssen. Die unbekannten Fingerabdrücke auf Seifenflasche und Messergriff im Fall Jordan sollten sich eigentlich noch in der Datenbank von AFIS befinden. Weshalb also wurde beim Einscannen von Dawns Fingerspuren kein Treffer gemeldet? Kann es sein, dass die Abdrücke nicht ihre sind, obwohl zwei unabhängige DNALabors sie als die Täterin identifiziert haben?
»Irgendwas stimmt da nicht«, murmle ich vor mich hin, während ich weitere Seiten umblättere und Fotos betrachte: eine schmale Treppe im hinteren Teil des Hauses, ein Wintergarten mit Terracottaboden, Blutstropfen und ein Maßstab, um die Größenverhältnisse zu verdeutlichen. Neben jeden dunklen Fleck hat man ein achtzehn Zentimeter langes Lineal aus weißem Plastik gelegt. Sieben Nahaufnahmen der auf den ziegelroten Fliesen verteilten Tröpfchen. Sie sind rund mit leicht gewellten Rändern und haben einen Durchmesser von einem guten Millimeter. Das heißt, dass sie mit niedriger bis mittlerer Geschwindigkeit aus einem Winkel von schätzungsweise neunzig Grad verspritzt worden sind. Jeder Tropfen ist von anderen, noch viel winzigeren umgeben. Die Tropfen sind beim Aufkommen auf dem glatten, ebenen und harten Boden zerplatzt.
Ich folge dem Blut hinaus in einen Garten, der offenbar in den Fundamenten eines aus einem längst vergangenen Jahrhundert stammenden Nebengebäudes angelegt worden ist. Zerbröckelnde, freiliegende Steinmauern wurden in die Gestaltung integriert. Eine Erdkuhle, offenbar der ehemalige Kartoffelkeller, ist bepflanzt. Verschiedene grau angelaufene oder von Schimmel grüne Statuen, ein Blumenkübel mit Wasserreservoir, ein Engel mit einem Strauß in der Hand, ein Junge mit einer Laterne, ein Mädchen mit einem Vogel. Getrocknete Blutströpfchen auf Grashalmen und den Blättern von Japanischer Quitte, Ölweide und Buxbaum. Dann weitere dunkle Tropfen, diesmal dichter beisammen, auf Felsen, die vermutlich zu einem Steingarten für Frühlingsblumen gehören. Ich achte darauf, keine voreiligen Schlussfolgerungen zu ziehen und nicht zu viel in das, was ich sehe, hineinzuinterpretieren.
Um ein Muster auszumachen, braucht man mehr als ein paar Blutflecke. Allerdings handelt es sich nicht um unter Druck nach vorn oder hinten gespritztes Blut. Es wurde auch nicht von blutigen Schuhen in den Wintergarten oder den Garten getragen. Dass es von blutiger Kleidung oder einer blutigen Waffe heruntergetropft ist, glaube ich ebenso wenig, wie dass von den Fingernägeln eines Kindes verursachte Kratzer so stark bluten können. Die sieben Tropfen auf den Terracottafliesen sind rund und befinden sich in einem Abstand von etwa fünfzig Zentimetern zueinander. Einer ist verschmiert, als wäre jemand hineingetreten.
Ich stelle mir eine blutende Person vor, die durch den Wintergarten in Richtung Hintertür und hinaus in den
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