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Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)

Titel: Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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schüchternen Lächeln und den gütigen grauen Augen, festlich mit einem dunkelgrünen Anzug und einer Weste mit Schottenkaro bekleidet. Neben ihm Gloria, eine unscheinbare junge Frau mit braunem Haar und Mittelscheitel in einem unauffälligen gerüschten Kleid aus grünem Samt. Die Zwillinge zu beiden Seiten ihrer Eltern, Blondschöpfe mit rosigen Wangen und großen blauen Augen, Josh genauso angezogen wie sein Vater, Brenda wie ihre Mutter. Es gibt noch mehr Fotos, die ich durchblättere, und ich verstehe ihren Sinn und Zweck nur zu gut, denn sie ziehen den Betrachter immer tiefer hinein in einen Albtraum, der auf Seite siebzehn des Protokolls beginnt.
    Ein blutiger Kinderarm baumelt über die Kante eines blutdurchtränkten Bettes. Die Tapete hat ein Winnie-Puh-Muster, die Bettwäsche ist mit Westernmotiven wie Lassos, Cowboyhüten und Kakteen bedruckt. Alles ist mit länglichen Blutstropfen bespritzt oder weist große dunkle Flecken und Stellen auf, die ich für Wischspuren halte. Unwillkürlich muss ich an Dawn Kincaid denken. Ich sehe sie vor mir, wie sie im dunklen Kinderzimmer in ihrem Anfall von Mordlust innehält, um Hände und Waffe an Laken und Bettdecke abzuwischen. Ich spüre ihren Blutdurst und ihre Wut und höre ihren keuchenden Atem und ihren heftigen Herzschlag, als sie immer weiter auf ihre Opfer einsticht. Warum mag sie wohl zwei fünfjährige Kinder abgeschlachtet haben?
    Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen, die in diesem Alter noch fast identisch aussehen: hübsch, blauäugig und blond. War Dawn den beiden je persönlich begegnet? Hatte sie sie beobachtet, vielleicht während sie das Haus und die Gewohnheiten der Familie ausspionierte? Woher wusste sie von Joshs und Brendas Existenz? Woher kannte sie die Lage des Kinderzimmers? War sie überhaupt im Voraus informiert? Wie ist es psychologisch zu erklären, dass sie in wilder Wut über die Kinder hergefallen ist? Wen wollte sie in Wirklichkeit töten, als sie sie, schlafend in ihren Betten, ermordet hat?
    Es war eine überflüssige, grundlose und nicht zielgerichtete Tat, auch nicht motiviert von einer bestimmten Absicht wie zum Beispiel Diebstahl. Die Eltern umzubringen hätte vielleicht noch Sinn ergeben, aber doch nicht kleine Kinder, die nicht in der Lage gewesen wären, später jemanden zu identifizieren. Es gibt keine vernünftige Erklärung, nur eine, die in der Person der Täterin zu suchen ist, und ich spüre Dawn Kincaids Hass. Das Blutbad weist auf rasende Wut hin. Ich glaube nicht, dass der Überfall auf die Familie zufällig oder spontan erfolgt ist. Genauso wenig wie der Mordanschlag auf mich aus einer Laune heraus geschah. Sie hat geplant, die gesamte Familie Jordan auszulöschen. Auch die Kinder. Warum?
    Um ihnen wegzunehmen, was ihr selbst stets vorenthalten wurde, schießt es mir durch den Kopf. Sie hat sie ihres sicheren Zuhauses und ihrer Eltern beraubt, die sie im Arm gehalten und sie versorgt haben, anstatt sie wegzugeben. Ich versuche das Bild von der Frau beiseitezuschieben, die mich neun Jahre später umbringen wollte. Doch das Blut auf dem Schlafzimmerboden wird zu dem Blut in meiner Garage, und wieder spüre ich die warme Gischt im Gesicht, habe den metallischen Geruch in der Nase und schmecke Eisen und Salz. Mit aller Macht vertreibe ich ihr Gesicht aus meinen Gedanken, während ich der Blutspur auf den Flur hinaus folge.
    Teilweise erhaltene Schuhabdrücke, Tropfen, Schmierer und Wischer auf dem Parkettboden. Kleine Handabdrücke und von blutiger Kleidung und Haaren hinterlassene Spuren weiter unten an der weiß verputzten Wand auf Höhe des Treppengeländers. Dann einige kleine Punkte, als sei das Opfer geschlagen worden, und außerdem größere Tropfen arteriellen Blutes, die sich verteilt haben und die weiße Wand hinuntergelaufen sind. Es war eine tödliche Verletzung, die niemand länger als ein paar Minuten überlebt. Die Karotidarterie wurde ganz oder teilweise durchtrennt, aller Wahrscheinlichkeit von hinten, da das Opfer verfolgt worden ist. Plötzlich sind die arteriellen Spritzer verschwunden, als hätten sie sich in Luft aufgelöst. Weitere Tropfen und ein Durcheinander von Mustern auf der Treppe, die in einer großen Lache unter einem kleinen Körper münden. Das Kind liegt seitlich zusammengekrümmt in der Nähe der Eingangstür im Flur: zerzaustes blondes Haar und ein rosafarbener Pyjama mit Sponge-Bob-Aufdruck.
    Der schwarzweiß im Schachbrettmuster geflieste Küchenfußboden weist nicht

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