Blut: Ein Kay-Scarpetta-Roman (German Edition)
Garten geht. Vielleicht war es ja auch umgekehrt, und die blutende Person hat das Haus nicht verlassen, sondern betreten. Bis jetzt sind diese wichtigen Beweisstücke nirgendwo erwähnt. Jaime hat gestern Abend nicht davon gesprochen. Marino auch nicht. Plötzlich höre ich Stimmen im Raum. Marino steht mit Mandy O’Toole in der offenen Tür. Colin Dengate ist hinter ihnen und macht ein merkwürdiges Gesicht, während er sich sein Telefon ans Ohr hält.
»… Kapieren die, was das Problem ist? Denn ich möchte nicht, dass Sie mich ständig deswegen anrufen und mich zwingen, mich zu wiederholen. Richten Sie ihnen von mir aus, es interessiert mich einen Scheiß, was sie wollen. Sie sollen verdammt noch mal nichts anfassen … Gut, hallo? Genau. Sie wissen nicht, ob nicht jemand vom Wachpersonal … Das müssen wir immer mit einberechnen, ganz zu schweigen davon, dass die keinen Dunst davon haben, wie man einen Tatort untersucht «, sagt Colin. »Okay, in Ordnung … Alles klar. Innerhalb der nächsten Stunde … Ja, das hat sie mir erzählt.« Colins Blick wandert zu mir, als sei ich die Person, die ihm erzählt hat, worauf er gerade anspielt. »Ich verstehe. Ich frage sie gleich … Und nein. Um es offiziell zu machen, wiederhole ich es zum dritten Mal. Die Direktorin wird keinen Fuß in diesen Raum setzen«, verkündet er, während ich aufstehe.
Colin beendet das Telefonat. »Kathleen Lawler«, wendet er sich an mich. »Ich glaube, Sie sollten mitkommen. Da Sie schon mal dort waren, könnten Sie uns eine Hilfe sein.«
»Was meinen Sie?« Aber ich weiß es schon.
Er dreht sich zu Mandy O’Toole um. »Holen Sie meine Sachen und bitten Sie Dr. Gillian, sich um das Unfallopfer zu kümmern, das gleich eingeliefert wird. Vielleicht können Sie ihm ja zur Hand gehen. Die arme Mutter des Toten wartet jetzt schon den ganzen Nachmittag in der Vorhalle. Es wäre nett, wenn Sie nach ihr sehen würden. Eigentlich wollte ich das selbst tun, aber mir ist etwas dazwischengekommen. Bieten Sie ihr Wasser oder eine Cola an. Der Idiot von den State Troopers hat sie angewiesen, sofort hierherzufahren, um ihren Sohn zu identifizieren. Und nach dem zu urteilen, was ich gehört habe, sieht er nicht sehr vorzeigbar aus.«
19
Als Colin den vierten Gang seines alten Land Rover einlegt, brüllt der gewaltige Motor, als habe er Hunger. Wir rasen eine schmale, im dichten Wald kaum zu erkennende Teerstraße entlang. Als wir offenes Gelände erreichen, wo Wohnblöcke in der gleißenden Sonne stehen, wird die Straße gerader. Das Coastal Regional Crime Laboratory ist so gut vor der Zivilisation versteckt wie Batmans Höhle.
Ein heißer Wind beutelt das olivgrüne Leinenverdeck, sodass Colins Bericht von einem lauten Knattern untermalt wird. Die Informationen, die er mir gibt, sind verdächtig detailgetreu, wenn man bedenkt, dass Kathleen Lawler die letzten Stunden ihres Lebens allein verbracht haben soll. Die anderen Gefangenen konnten sie nur hören, aber auf gar keinen Fall sehen, als sie in ihrer Zelle starb. Vermutlich war es ein Herzinfarkt, wie Officer M. P. Macon gegenüber GBI-Ermittler Sammy Chang äußerte, ehe dieser überhaupt vor Ort war. Bei Changs Ankunft hatte die Gefängnisverwaltung Kathleens Tod schon als tragisches Zufallsereignis, vermutlich ausgelöst von den sommerlichen Temperaturen, eingestuft. Hitzschlag. Herzinfarkt. Hohe Cholesterinwerte. Kathleen habe nie sehr auf ihre Gesundheit geachtet, sagte man Chang.
Laut Officer Macon habe Kathleen nicht über Beschwerden geklagt und sich auch nicht krank oder unwohl gefühlt, als man ihr um Viertel vor sechs heute Morgen ihr Frühstückstablett mit Rührei aus Trockeneimasse, Grieß, Weizentoast, einer Orange und einem halben Liter Milch durch die Luke in ihrer Zellentür schob. Der Aufseher, der ihr die Mahlzeit gebracht hatte und später von Officer Macon befragt wurde, habe gemeldet, sie sei sogar guter Dinge und gesprächig gewesen.
»Er hat Sammy erzählt, sie habe sich erkundigt, was man denn tun müsse, um in diesem Laden ein Omelette mit Zwiebeln, Tomaten, Käse und Chilis und dazu Kartoffelrösti zu kriegen, und außerdem Witze gerissen«, erklärt Colin. »Offenbar hat sie sich in letzter Zeit mehr Gedanken ums Essen gemacht als sonst. Sammy schließt aus den Aussagen, sie könnte mit ihrer baldigen Entlassung aus dem Georgia Prison for Women gerechnet haben. Vielleicht hat sie sich ja ihre Lieblingsgerichte ausgemalt, weil sie sich schon darauf gefreut hat,
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