Blut für Blut: Thriller (German Edition)
stellte fest, dass er in seiner eigenen Wohnung mit dem wohlbekannten stickigen Geruch war, doch er spürte die Dielenbretter unter sich und kam zu dem Schluss, dass er es nicht bis ins Bett geschafft hatte, als er in der Nacht nach Hause gekommen war. Er bekam das Bein des Sofatischs zu fassen, das aus Schmiedeeisen und unangenehm kalt war, aber trotzdem hielt er sich krampfhaft daran fest, während er verzweifelt versuchte, sich aufzurichten. Der Körper war steif und schwer, und er keuchte unter der Kraftanstrengung. Erst nach mehreren Versuchen kam er auf die Beine, schlingerte ins Bad und trat erschrocken einen Schritt zurück, als er sein Spiegelbild sah. Sein Gesicht war blass und aufgedunsen wie Teig und eine Seite mit eingetrocknetem Blut beschmiert. Tastend führte er die Hände zum Gesicht und spürte oben am Scheitel eine Wunde. War er gefallen oder in eine Schlägerei geraten? Sejr lächelte schief, während er die Wunde vorsichtig mit Seife und lauwarmem Wasser reinigte. Sie hatten gestern ordentlich einen gezischt, er und Jarler. Eine Räubergeschichte hatte die andere abgelöst, und die Whiskyflasche war schnell leer gewesen. Sejr hatte angeboten, vom nicht weit entfernten Kiosk Nachschub zu holen, doch nach zwei Bier war Jarler mitten im Satz in seinem Sessel eingeschlafen. Sejr hatte ihn ein paar Minuten betrachtet, er hatte leise geschnarcht, und der Sabber war ihm aus dem Mundwinkel der gelähmten Gesichtsseite gelaufen. Sejr war aufgestanden, hatte vorsichtig eine Decke über den schlafenden Kommissar gebreitet und sich leise aus der Wohnung geschlichen. Unten auf der Straße hatte er plötzlich den Rausch gemerkt und die stille innere Freude, seine Gedanken mit einem vernünftigen Menschen geteilt zu haben. Statt nach Hause ins Bett zu gehen, wie er das hätte tun sollen, war er in die Lanterne gegangen und hatte weitergetrunken. Er erinnerte sich, wie Sivertsens schwimmende Augen vor Begeisterung aufgeleuchtet hatten, als er zur Tür hereingekommen war, er erinnerte sich, dass die Musikbox S o ist das Leben gespielt hatte, und an den Geruch von Bier und Zigarettenrauch. Danach erinnerte er sich an nichts mehr.
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Rebekka parkte kurz nach zehn vor dem Reihenhaus ihrer Eltern in Ringkøbing. Ihre Mutter riss im gleichen Moment die Tür auf, blieb auf der Schwelle stehen und beobachtete sie, während sie das Auto abschloss und die wenigen Schritte über den Kies zur Haustür hinaufging.
»Hallo, Mutter.« Rebekka wollte ihre Mutter umarmen, die wie üblich den Kopf vor ihrem Kuss wegdrehte. Das hatte sie getan, solange Rebekka zurückdenken konnte, und es hinterließ bei ihr immer das Gefühl, abgelehnt zu werden. Auch jetzt. Sie schüttelte das Gefühl ab und erklärte: »Der Sargschmuck liegt im Auto. Ich habe gedacht, dass wir mit meinem Auto zur Kirche fahren.«
»Das müssen wir wohl. Ich glaube nicht, dass unser Auto noch fährt. Ich habe ja keinen Führerschein, und Vater kann nicht mehr fahren.« Die Mutter seufzte tief und ging ins Haus. Rebekka folgte ihr. Ihr Vater lag im Wohnzimmer auf dem Ledersofa, und Rebekka schlug erschrocken die Hand vor den Mund, als sie ihn sah. Ihr Vater war immer schlank gewesen, fast sehnig, doch jetzt war er krankhaft dünn. Sein Gesicht war eingefallen, die Augen lagen tief in den Höhlen, und der Blick war dunkel und voller Angst. Er reichte ihr eine schmächtige Hand, und sie nahm sie in ihre und setzte sich auf die äußerste Kante des Sofas, während sie ihm beruhigend den Arm streichelte.
»Vater, wie geht es dir?«, fragte sie leise und kämpfte darum, die Verzweiflung aus ihrer Stimme herauszuhalten.
»Es geht, es geht. Ich hoffe, dass das neue Medikament mir etwas hilft, ich habe vor Kurzem die erste Tablette genommen«, flüsterte er. Er war kurzatmig, obwohl er lag und die Kanüle zur Sauerstoffversorgung in der Nase hatte. »Ich möchte viel lieber von dir hören, mein Mädchen, erzähl mir, was du so Spannendes machst«, meinte er und atmete zischend beim Reden. Rebekka erzählte von ihrer Arbeit, während die Mutter sich für die Abfahrt fertig machte. Ihr Vater wollte alles über die Ermittlung wissen, und sie berichtete ihm von den Verhören und den diversen Theorien über das Motiv für den Mord an Kissi Schack. Der Vater hörte aufmerksam zu und gab hin und wieder kurze Kommentare ab. Ein paar Minuten später verkündete die Mutter, dass sie bereit sei, und sie halfen dem Vater gemeinsam aufzustehen, zogen ihm das dunkelblaue
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