Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Wange, steckte den Umschlag in die Tasche und lief aus dem Haus. Sie atmete ein paarmal tief durch, während sie durch den knirschenden Kies zum Auto ging. Michael stand ein Stück weiter den Weg hinunter und sprach mit einem älteren Nachbarn. Typisch Michael. Er hatte die phantastische Gabe, mit allen möglichen Leuten in Kontakt zu kommen, eine Gabe, die für seine Arbeit als Kommissar besonders wertvoll war. Michael strahlte, als er sie sah, und eilte zu ihr, und sie versank in seiner Umarmung.
»Bekka, jetzt heißt es Abschied nehmen. Wieder einmal.«
Sie nickte und schnupperte an ihm, er roch wie immer wunderbar – nach Meer, Waschmittel und Michael. Er küsste sie zärtlich aufs Haar.
»Amalie freut sich wie wahnsinnig auf Mallorca. Der Flieger geht kurz nach sechs morgen früh, aber so haben wir natürlich auch noch etwas von dem Tag da unten.«
»Natürlich«, antwortete sie und dachte an Bettina im Bikini.
»Wenn wir doch immer zusammen sein könnten«, murmelte er in ihr Haar.
Sie befreite sich aus seinen Armen und legte einen Finger auf seine Lippen. »Nicht jetzt, Michael, lass uns nicht wieder mit dieser Diskussion anfangen.«
»Ich versuche, positiv zu sein …« Er schwieg und sah sie mit gerunzelter Stirn an, dann folgte ein vorsichtiges Lächeln.
»Du hast recht. Entschuldige, es ist nur, weil ich so furchtbar in dich verliebt bin.«
____
Jerome erinnerte sich schwach, dass Liam wiederholt im Schlafzimmer gewesen war, um zu fragen, ob er nicht bald aufstehen wollte, doch er hatte nur gemurmelt, dass er Ruhe brauchte und gerne in Frieden gelassen werden wollte. Liam hatte gemurrt, dass er zu ein paar gemeinsamen Freunden fahren und es sich dort gut gehen lassen würde, wenn Jerome so demonstrativ nicht mit ihm zusammen sein wollte. Jerome hatte erleichtert aufgeatmet, als er kurz darauf die Wohnungstür zufallen hörte. Das Letzte, was er jetzt brauchte, war, dem Lügner Liam gegenüberzusitzen. Es wunderte ihn, dass die Polizei nicht bei ihnen aufgetaucht war, nachdem sie festgestellt hatten, dass das Karatetraining abgesagt worden war, sie mussten das Alibi doch überprüft haben. Plötzlich kam ihm ein Gedanke. Was, wenn ein anderer Liam ein Alibi gegeben hatte? Jerome kniff die Augen fest zusammen und merkte, dass seine Muskeln vor Anspannung zitterten. Liam hatte ihn mehrmals zu irgendwelchen Veranstaltungen im Karateklub eingeladen, und Jerome hatte pflichtschuldigst an einigen teilgenommen. Wie sah Sensei Anders noch mal aus? Er versuchte, sich die Gesichter der Männer in der Dojo vorzustellen, erinnerte sich aber nur an die verschwitzten Körper in den weißen Gis, die mit konzentrierten Gesichtern die Katas und Bunkais vorführten. Jerome seufzte laut. Wie sehr erschütterte Kissis Tod Liam eigentlich wirklich? Es bestand kein Zweifel, dass Liam und Kissi sich nicht sonderlich gemocht hatten. Sie hatten sich beide über die Jahre zusammengenommen, hatten versucht, die gegenseitige Antipathie zu verbergen, doch alle in ihrem Umfeld hatten ihre wirklichen Gefühle gespürt und sie bei Treffen konsequent an entgegengesetzte Enden des Tisches gesetzt. Trotzdem fiel es Jerome schwer, sich vorzustellen, dass Liam Kissi so sehr gehasst haben sollte, dass er sie umgebracht haben könnte. Wenn man einen Menschen tötet, hat man notwendigerweise ein Motiv, und dass Kissi und Liam sich nicht mochten, war nichts Neues. Vor Erleichterung spürte er ein Kribbeln im Körper, doch dann fiel ihm das Erbe ein. Geld war ein klassisches Mordmotiv. Er selbst hatte immer Geld gehabt, doch sie hatten hohe Ausgaben, und in den letzten Jahren hatte Liam zu klagen begonnen, dass das Guthaben auf dem Konto langsam schwand. Wir müssen unsere Ausgaben wirklich herunterfahren , hatte er immer öfter gesagt, doch Jerome hatte nicht auf ihn gehört. Er hatte immer Geld ausgegeben, und soweit er das beurteilen konnte, hatten sie genug Geld. Er war 70 Jahre alt, hatte vielleicht noch zehn Jahre zu leben, er wollte nichts ändern. Die Wahrheit war jedoch die, dass das Geld für ein Luxusleben auch nicht viel länger reichte, es sei denn, Kissi starb. Die Abmachung lautete, dass er Kissis Haus erben sollte, da er es seinerzeit gekauft und bezahlt hatte. Damals hatte es 900000 Kronen gekostet, heute war es knapp sechs Millionen Kronen wert. Ein schöner Verdienst und ein hübscher Betrag für ein paar weitere Jahre guten oder sogar luxuriösen Lebens.
Jerome setzte sich langsam in dem breiten Bett auf und rieb
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