Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Jackett an, das normalerweise gut saß, jetzt aber locker um seinen mageren Körper hing. Sie stützten ihn auf dem Weg hinaus zum Auto. Rebekka fuhr vorsichtig durch die Stadt, jedes Mal, wenn das Auto auch nur ein wenig holperte, stöhnte der Vater leicht auf dem Rücksitz. Die Mutter saß schweigend vorne, die Tasche auf dem Schoß, und starrte steif vor sich hin. Sie sprachen nicht, sie hatten nicht mehr viele Worte füreinander, und plötzlich vermisste Rebekka Michael und freute sich, dass sie ihn in wenigen Minuten sehen würde.
Die Zeremonie war kurz und nüchtern. Der Pfarrer kannte die Tante offensichtlich nicht und vermochte das auch in seiner Predigt nicht zu verbergen, die aus einem nüchternen Abriss ihres Lebens bestand. Michael hatte draußen vor der Kirche auf sie gewartet, und jetzt saß sie in der ersten Reihe und hielt ihn an der einen und ihren Vater an der anderen Hand. Vor ihnen stand der weiße Sarg, bedeckt mit Blumen in Lilatönen, der Lieblingsfarbe ihrer Tante. Rebekka drückte während der Lieder die Hand ihres Vaters, sie schloss die Augen und sah ihre Tante vor sich: die große, schwere Brille, das heisere Lachen, den Geruch nach Zigarillos und Kaffee. Plötzlich war sie zurück in dem kleinen Haus ihrer Tante, kurz nach Robins Tod. Sie hatte sich auf dem Sofa wie eine kleine Kugel zusammengerollt, ihre Tante hatte sie mit sanften Augen angesehen und ihr ein Geschenk gegeben, in blauem Papier mit klitzekleinen weißen Sternen darauf. Vier Puppen für ihr Puppenhaus hatte sie ausgewickelt: eine Mutter, ein Vater, ein Mädchen und ein etwas kleinerer Junge. Sie hatte stundenlang mit der Puppenfamilie gespielt, sie hatte gespielt, dass die Kinder zum Strand gegangen waren und der kleine Junge beinahe ertrunken wäre, die große Schwester ihn aber gerettet hatte, immer wieder.
Nach der Beerdigung ging es beim Kaffeetrinken, das in einem Restaurant in der Nähe stattfand, entspannter zu. Die Stimmung lockerte sich, die Leute begannen zu lächeln, einige lachten, und ein paar Freundinnen ihrer Tante aus Odense erzählten eine rührende Geschichte nach der anderen von ihr. Rebekkas Vater hatte feuchte Augen, während er dem Gespräch folgte. Michael saß am anderen Ende des Tisches und plauderte mit ein paar älteren Damen, die ihn beharrlich als jungen Polizisten bezeichneten, und Rebekka konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Der junge Polizist wurde nächstes Jahr 45. Michael blinzelte ihr zu und schickte ihr einen Luftkuss, sie blinzelte zurück, dankbar, dass er die älteren Damen unterhielt. Eine Stunde später fuhren sie die Eltern nach Hause. Der Vater war erschöpft, er schlief schon fast im Auto, und sie schafften es nur mit Michaels Hilfe, ihn ins Haus zu bringen. Sie betteten ihn vorsichtig auf das Sofa, und er fiel sofort in tiefen Schlaf. Rebekka streichelte ihm zärtlich die blasse, eingefallene Wange, betrachtete seine zitternden Augenlider und hatte Angst, ihn vielleicht das letzte Mal zu sehen.
»Ich warte draußen, während du dich verabschiedest.« Michael strich ihr liebevoll übers Haar, sie nickte und steckte die Decke um ihren Vater fest. Sie fand ihre Mutter draußen in der Küche, wo sie mit verlorenem Blick auf einem Küchenstuhl saß.
»Kann ich dir noch mit etwas helfen, bevor ich fahre?« Rebekka stand in der Tür und betrachtete die rundliche Gestalt auf dem Stuhl. Ihre Mutter antwortete nicht.
»Ich kann ein paar Brote schmieren, damit du und Vater etwas zu essen habt, wenn er aufwacht.«
»Musst du fahren?« Die Mutter sah sie bettelnd an. Rebekka nickte, ging zu ihr und legte ihr die Hand auf die Schulter. »Mutter, du weißt, dass ich liebend gerne bleiben würde, aber ich kann nicht. Ich muss so schnell wie möglich zu der Ermittlung zurück. Ich konnte überhaupt nur zu der Beerdigung kommen, weil ich einen sehr netten Chef habe. Bist du sicher, dass ich nicht doch ein paar Brote schmieren soll?«
Die Mutter nickte schwach.
»Okay. Ich rufe später an.« Sie drückte leicht die Schulter ihrer Mutter.
»Das ist für dich.« Ihre Mutter kramte in ihrer Handtasche, die auf dem Esstisch stand, und reichte Rebekka ein weißes, gefüttertes Kuvert mit der schnörkeligen Schrift ihrer Tante darauf. Für Rebekka stand da.
»Was ist das?«
»Das sind die Schlüssel. Für Græstørven , das Sommerhaus bei Veddinge Bakke. Das ist dein Erbe. Da ist auch noch ein Brief von der Tante an dich.«
Rebekka nahm das Kuvert, küsste die Mutter schnell auf die
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