Blut für Blut: Thriller (German Edition)
ihn nicht an Machtmissbrauch im Zuge einer Verhaftung erinnern, sondern schob ihn stattdessen zu ihrem eigenen Auto.
»Steig ein, wir machen eine kleine Tour.«
»Und wenn er zurückkommt?«
»Du hast doch dafür gesorgt, dass er mit dem Auto nicht von hier weg kann.«
Sie setzten sich ins Auto, fuhren rückwärts den Weg hinunter und bogen nach rechts ab, weiter in den Wald hinein. Der Wald war dicht und voller Unterholz, die Möglichkeiten, sich zu verstecken, zahlreich. Sie waren ein paar Hundert Meter den unebenen Waldweg entlanggerollt, als in dem hohen Gras ein roter Briefkasten auftauchte. Englund stand daran. Rebekka fuhr weiter, und kurz darauf kamen sie zu einem schönen Holzhaus mit einer Veranda davor.
»Da hinten steht ein Auto.« Rebekka zeigte auf einen halb verrosteten Volvo älteren Datums. »Halten wir an und reden wir mit dem, der hier wohnt, vielleicht weiß er ja was.«
Sie stiegen aus dem Auto, blieben einen Moment stehen und sahen sich um. Alles war still bis auf ein schwaches Rascheln von den hohen Bäumen und ein leises, kontinuierliches Pfeifen. Rebekka ging durch das Gras zur Haustür, sie war nur angelehnt. Sie klopfte.
»Hallo, ist da jemand?«
Währenddessen lief Niclas um das Haus herum und sah zu den Fenstern hinein. Rebekka rief erneut, dann schob sie die Tür langsam auf und trat ein. Sie kam in eine schmale Diele mit einer Blümchentapete, in der es intensiv nach Farbe roch. Eine Treppe führte in die erste Etage, ein Haufen zusammengeknüllter Flickenteppiche lag am Fuß der Treppe. Rebekka ging weiter in die Küche. In einer Teigform stand ein Teig zum Gehen, und der Ofen war an. Wer immer hier wohnte, konnte nicht weit sein. Ihr Gefühl sagte ihr, dass hier etwas ganz und gar nicht stimmte, und vorsichtig schlich sie ins Wohnzimmer. Niemand war da, die Möbel waren nicht umgeworfen, und auf dem Esstisch lag ein aufgeschlagenes Buch. Rebekka drehte es um. Es war über Pädagogik, und auf der ersten Seite stand in einer zierlichen Handschrift Linnea Englund. Sie warf einen Blick aus dem Fenster und sah Niclas, der sich zwischen den Bäumen umsah. Dann hörte sie etwas, das wie ein schwaches Jammern klang.
»Hallo!«, rief sie. Von oben war ein leises Knarren zu hören. Sie zog die Pistole aus der Jackentasche und entsicherte sie. Sie wartete einige Sekunden mit angehaltenem Atem, bevor sie sich an der Wand entlang zur Diele schlich.
»Weg mit der Pistole.«
Sie erkannte seine Stimme sofort und blickte die Treppe hoch. Da stand er, Thomas Schack Lefevre, und starrte auf sie hinunter. Vor sich hielt er eine nackte junge Frau wie einen Schild. Die Frau sagte nichts, starrte Rebekka nur mit großen, ängstlichen Augen an, während ihr das Blut über das Gesicht lief.
»Sie sollen die Pistole weglegen und das Magazin leermachen, habe ich gesagt. Sonst bringe ich sie um.« Er drückte seinen muskulösen Unterarm fest gegen die Kehle der Frau, die einen röchelnden Laut von sich gab. Rebekka legte ruhig die Pistole auf den Boden und leerte das Magazin. Die Projektile rollten über den Holzboden. Sie erhob sich wieder.
»Thomas«, Rebekka sah ihn eindringlich an, »jetzt ist Schluss. Wir wissen alles. Über die Vergewaltigungen, über den Mord an Charlotte B. Hansen im Jahr 1988.«
»Sie wissen gar nichts«, knurrte Thomas, während er die Treppe herunterkam, eine Stufe nach der anderen. Die junge Frau baumelte wie eine leblose Kleiderpuppe in seinem Griff.
»Wir wissen alles«, fuhr Rebekka ruhig fort. »Sie haben gestern Abend einen Journalisten niedergeschlagen, Sejr Brask, er hat ihr Gespräch auf Band aufgenommen.«
Thomas erbleichte kurz, dann schüttelte er den Kopf.
»Das kann man wohl kaum als Gespräch bezeichnen, und es hat nichts zu bedeuten. Geben Sie mir Ihre Autoschlüssel, werfen Sie sie herüber.«
Rebekka zögerte kurz.
»Werfen Sie sie herüber. Sofort. Sonst breche ich ihr das Genick«, rief er.
Rebekka suchte in ihrer Jackentasche nach den Autoschlüsseln. Sie warf sie zum Fuß der Treppe hin, und Thomas hob sie schnell auf.
»Wo ist der andere, der Braune? Sie sind doch nicht allein hier?«
Thomas sah sie direkt an, und sie wusste, dass sie bluffen und hoffen musste, dass er darauf hereinfiel.
»Er ist drüben bei Ihrem Haus. Wir haben uns aufgeteilt. Das macht man in so einer Situation.«
Sie erwiderte seinen Blick, ohne zu blinzeln, und Thomas sah sie einen Moment forschend an. Dann bewegte er sich mit der jungen Frau zur Haustür hinüber.
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