Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Meinung.«
»Rebekka«, Brodersen legte ihr die Hand auf die Schulter, eine Geste, die vermutlich freundschaftlich gemeint war, jedoch den gegenteiligen Effekt hatte. Sie zwang sie in die Knie. »Du bist die Einzige in der ganzen Abteilung, die bezweifelt, dass Thomas seine Mutter umgebracht hat. Wir reden von einem kalten, manipulativen Psychopathen, der für den Mord an einer jungen Frau und diverse Vergewaltigungen und Verstümmelungen verantwortlich ist. Er ist der Typ, der alles tun würde, um seiner Strafe zu entgehen, auch wenn das heißt, die eigene Mutter umzubringen. Du musst im Lauf deiner Karriere doch auf viele solcher Typen gestoßen sein …«
Rebekka starrte ihren Chef einen Augenblick lang wütend an. Sein Ton war regelrecht herablassend. Dann schluckte sie ihre Wut hinunter und zwang sich, ganz ruhig zu sagen: »Ich bestehe darauf, dass wir im Mord an Kissi Schack weiterermitteln. Wir müssen andere Wege gehen, wir müssen etwas übersehen haben …«
»Hast du völlig den Verstand verloren?« Brodersen sah sie wütend an, und Rebekka ballte vor Zorn ihre Hände zu Fäusten und erzählte von dem Besuch bei Marie-Louise am Vorabend. Der Chef der Mordkommission löste seinen Schlips.
»Rebekka, ich schätze deine Fähigkeiten sehr – das habe ich soeben öffentlich verkündet –, aber jetzt gehst du zu weit. Lass uns in dem Fall von dem Offensichtlichen ausgehen …« Dann drehte er ihr den Rücken zu und verließ den Raum.
____
Das Klingeln des Telefons verstummte nicht, obwohl er zum Schluss den Stecker herausgezogen hatte. Tibor holte eine Kneifzange und schnitt die Leitung durch, doch es half nicht. Das Klingeln lebte in seinen Ohren weiter, gewaltig und dröhnend, und Tibor lief zwischen dem Schlafzimmer und dem Telefon im Wohnzimmer hin und her. Er streckte die Hand danach aus, hielt den Hörer in seinen feuchten Händen, doch die Leitung war tot. Wieso klingelte es dann? Er zitterte am ganzen Körper, Schweiß lief ihm über die Haut. Rastlos zog er sich aus und lief nackt herum, er fand keine Ruhe. Er stellte sich neben das Fenster, schob die Verdunklungsgardine ein wenig zur Seite und spähte hinaus. Es war nichts zu sehen, doch so war es damals auch gewesen. Auf dem Dach konnten Scharfschützen sein. Er duckte sich, schob sich an den Paneelen entlang zu seinem Bett und kroch lautlos hinein. Milica war unter das Bett gekrochen, während Molly weiter jaulte und fiepte. Das Geräusch war grauenhaft, fast so schlimm wie das klingelnde Telefon, fand er und merkte, dass er nicht mehr konnte. Er schnappte sich das Tier, und als er ihm das Genick brach, war das Geräusch das Gleiche wie damals, als er noch ein Junge war und Zweige von den Bäumen abgebrochen hatte, um sich Pfeil und Bogen daraus zu machen.
____
»Ich fahre zu den Angehörigen von Charlotte B. Hansen hinaus und unterrichte sie davon, dass der Mord an ihrer Tochter aufgeklärt ist. Sie sollen es erfahren, bevor es später am Tag öffentlich gemacht wird.«
Rebekka sammelte ihre Unterlagen zusammen und stopfte sie in die Tasche. Nach dem Streit mit Brodersen war sie eine Runde gegangen, aber trotzdem arbeitete der Ärger weiter in ihr. Reza nickte geistesabwesend, ohne den Blick vom Computerbildschirm zu nehmen.
Die Eltern der ermordeten Frau hießen Annelise und Søren Berg Hansen. Laut Melderegister war Annelise im Alter von 59 Jahren im Januar 2007 verstorben. Es versetzte Rebekka einen Stich ins Herz, dass die Frau begraben worden war, ohne dass man den Mörder der Tochter gefasst hatte. Ihren Informationen zufolge sollte der Vater in einem Pflegeheim wohnen, in Ingeborggåden , das am Rand von Frederiksberg lag. Rebekka runzelte die Stirn und überprüfte das Geburtsdatum des Mannes. Er war 64 Jahre alt. Das war früh für ein Pflegeheim.
Während der Fahrt drehte sie das Radio laut auf. Es war kaum Verkehr und mehr als spürbar, dass ganz Dänemark in den Sommerferien war. Sie kam am Rathaus von Frederiksberg vorbei und fuhr die Smallegade hinaus zum Peter Bangs Vej. Ingeborggården war ein Betonklotz, der neben ein paar grünen Fußballplätzen lag. Sie klingelte an der Tür. Durch das Fenster sah sie eine Gruppe älterer Menschen mit ausdruckslosen Gesichtern in der Vorhalle sitzen und einen Zeichentrickfilm anschauen.
Eine freundliche, rundbäckige Frau in einem Kittel ließ sie herein, und Rebekka stellte sich vor und erklärte ihr Anliegen.
»Herr Hansen wohnt hinten am anderen Ende in Nummer 15. Seine Tochter
Weitere Kostenlose Bücher