Blut für Blut: Thriller (German Edition)
winkte seinen Lebenspartner mit der Hand weg.
»Es ist in Ordnung, Liam. Wir können gut etwas zur Stärkung gebrauchen.«
Der Engländer nickte und verschwand mit Reza im Schlepptau aus dem Wohnzimmer.
»Entschuldigung.« Jerome sah Rebekka an. »Das Ganze ist irgendwie so unwirklich, als würde ich mich unter einer Glasglocke befinden. Ich bin total fertig. So ist das. Es fühlt sich an, als wäre mein Herz mitten durchgerissen. Ich habe sie geliebt …« Er kam ins Stocken und warf einen schnellen Blick zur Tür hinüber, als hätte er Angst, dass jemand ihn hören könnte. Unwillkürlich senkte er die Stimme. »Also, ich meine das nicht so, wie man vielleicht glauben könnte, aber ich habe sie schließlich mein Leben lang gekannt. Seit sie sechzehn, siebzehn war. Wir haben geheiratet, als sie neunzehn wurde. Haben Sie dafür Worte? Wir waren doch nichts anderes als große Kinder – ja, sicher war ich zehn Jahre älter, aber trotzdem.«
Jerome lächelte kurz bei der Erinnerung, und Rebekka legte ihm die Hand auf den sehnigen Arm.
»Das ist ein gewaltiger Schock. Es ist völlig normal, so zu reagieren wie Sie.«
Er sah sie dankbar an, und sie tätschelte ihm sanft den Arm.
»Die Obduktion ist noch nicht abgeschlossen, deshalb liegt die endgültige Todesursache noch nicht vor. Sie haben vorhin gesagt, dass Kissis Arbeit sie umgebracht hat. Wie haben Sie das gemeint?«
»Ich meine, dass ihre Arbeit ausgesprochen gefährlich war. Sie hat sich schließlich für Einwandererfrauen eingesetzt, die Opfer häuslicher Gewalt geworden sind, und sie war eine der Hauptakteurinnen hinter dem Frauenhaus Lundely , einem Krisencenter ganz besonderer Art. Diese Frauen waren zutiefst dankbar für alles, was sie für sie getan hat, aber die Männer«, Jerome schnaubte, »die konnten sie natürlich nicht ausstehen, und deshalb war sie regelmäßig Drohungen ausgesetzt. So ist das nun mal, wenn man den Kopf nicht in den Sand steckt und sich zum Sprachrohr der Schwachen macht. Das habe ich ihr immer wieder gesagt. Du bewegst dich auf gefährlichem Grund, Kissi. Aber sie wollte nicht hören. Kissi hat immer gemacht, was sie wollte, immer. Wenn sie sich zu etwas entschlossen hatte, ist sie keinen Millimeter davon abgewichen.«
»Wie sahen die Drohungen aus?«
Jerome richtete sich auf dem Sofa auf und stopfte sich ein paar cremefarbene Kissen in den Nacken. Er schloss kurz die Augen, bevor er antwortete.
»Ach, das liegt schon einige Zeit zurück. Sie ist hin und wieder angerufen worden, hat sie erzählt. Entweder war es am anderen Ende der Leitung still oder eine Stimme hat gesagt, dass sie sich fernhalten soll, die Frauen in Ruhe lassen, sich nicht einmischen soll. Ich weiß mit Sicherheit, dass sie auch ein paar eindeutige Drohbriefe bekommen hat. Einmal hat sie mir einen gezeigt. Da stand, dass sie den Tod verdient hat. Ich war wie gelähmt vor Schreck, aber sie hat die Ruhe bewahrt. Sie hätte wissen sollen …« Seine Stimme erstarb.
»Haben einige dieser Männer sie jemals aufgesucht?«
Jerome biss sich auf die Lippe und schüttelte leicht den Kopf.
»Falls dem so war, hat sie mir nichts davon erzählt, aber sie hat auch gewusst, welche Sorgen ich mir um sie gemacht habe. Es kann also durchaus sein, dass sie mich schonen wollte. Aber ich kann mich erinnern, dass man ihr einmal Hundescheiße in den Briefkasten geworfen hat. Sie hat uns zutiefst erschüttert angerufen, aber wir haben nicht herausgefunden, wer dahintersteckte. Das muss natürlich kein gewalttätiger Ehemann gewesen sein, das können auch Kinder aus der Nachbarschaft getan haben, die sie ärgern wollten. Wir wissen es nicht.«
»Hat sie wegen der Drohungen Anzeige erstattet?«
»Das hat sie, jedenfalls in einigen Fällen. Ich musste sie fast dazu zwingen, weil sie sie, wie gesagt, nicht ernst genommen hat. Aber ich habe darauf bestanden, dass es besser ist, die Polizei zu informieren. Ist das falsch?«
Jerome sah Rebekka mit einem Blick an, der um Bestätigung flehte, und sie lächelte ihm beruhigend zu.
»Ganz und gar nicht. Das ist das einzig Richtige.« Rebekka notierte sich, nach Kissis Anzeige zu sehen. Jerome blickte sie dankbar an, und in dem Moment ging die Tür auf, und Reza und Liam kamen jeder mit einem Tablett mit Tee und Scones herein.
»Hier kommt eine kleine Stärkung«, sagte Liam und schaute seinen Partner forschend an.
»Bist du okay, my love ?« Er stellte das Tablett auf den kleinen Sofatisch und setzte sich dicht neben Jerome.
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