Blut für Blut: Thriller (German Edition)
Rothenborgs Augen blitzten vor Wut, er war kein Mann, den man so ohne Weiteres abfertigte.
»Wir sind ein Klub, der Cairnklub. Wir gehen hier seit bald sieben Jahren spazieren. Wir gehen gewöhnlich …«
»Das ist mir völlig egal, was Sie gewöhnlich tun. Betreten verboten. Auf Wiedersehen.«
Der Bedienstete wendete ihnen halb den Rücken zu, und Leon Rothenborg blinzelte verblüfft wegen des unverschämten Tons.
»Das ist schon seltsam. Wer weiß, was da passiert ist.« Margrethe Heinesen sah die anderen an, und die Gruppe bewegte sich unruhig. Die Sonne verschwand hinter einer dunklen Wolke, die Luft wurde plötzlich kühler, und nach einer kurzen Erörterung der Lage beschlossen sie, sich zu trennen und am kommenden Montagabend wiederzutreffen, wie sie das für gewöhnlich taten.
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» I still don’t get it. Ich komme mir vor wie in einem Traum oder eher wie in einem Albtraum.«
Ein kräftig gebauter Mann mittleren Alters mit einer sommersprossigen Haut und einem starken englischen Akzent sah Rebekka und Reza bedauernd an, als sie in Jerome Lefevres Wohnung an Esplanaden eintrafen. Er stellte sich als Liam Wilkinson vor und führte sie in eine geräumige Diele, an deren Wänden ein Gemälde neben dem anderen hing, alle von jüngeren dänischen Künstlern: Tal R, John Körner, Cathrine Raben Davidsen, Maria Marstrand … Die Gemälde mussten ein Vermögen wert sein. Liam folgte ihrem Blick und lächelte schief.
» He loves art , der Alte. Er sammelt seit Jahren Kunst. Mir sagt das nicht so viel, ich könnte ohne Weiteres mit nackten Wänden und irgendwelchen modernen Installationen leben, aber Jerome möchte es so, und er ist der Innenarchitekt.« Sie gingen durch eine lange Diele, von der eine Reihe weißer Türen abgingen. Liam öffnete die letzte, sie führte in ein großes ovales Wohnzimmer. Hellrotes Abendlicht strömte ihnen durch die großen Bogenfenster entgegen. Rebekka sah, dass feiner, alter Stuck die Decke zierte: Frauengesichter, Weintrauben und Blumenranken en masse . In einer Ecke des Wohnzimmers lag auf einem dunkelbraunen Samtsofa ein älterer Mann unter einer fliederfarbenen Decke, er war mager und hatte fülliges silbergraues Haar. Rebekka erkannte ihn sofort von dem Foto an Kissis Pinnwand. Das also war der Exmann, Jerome, den Kissi auf dem Bild so zärtlich angelächelt hatte.
»Jerome Lefevre?«, fragte sie und ging vorsichtig zu der Gestalt auf dem Sofa hinüber. Der Mann antwortete ihr erst nicht, sondern starrte sie nur mit vor Schreck weit aufgerissenen Augen an. Sie setzte sich auf die äußerste Sofakante. Sie hätte gerne den mageren Arm gestreichelt, den Schmerz ein wenig gelindert, entschied sich jedoch dagegen. Sie räusperte sich leicht.
»Ich möchte Ihnen mein Beileid aussprechen. Das alles muss sehr traurig für Sie sein.«
Jerome sah sie nicht an, sondern starrte an ihr vorbei, während er murmelte: »Ihr Gesicht, von ihrem Gesicht war nichts mehr übrig, es war völlig zertrümmert. Kissis schönes Gesicht. Und der Arm … O Gott, das ist alles so schrecklich.«
Sie nickte, holte tief Luft und fuhr fort: »Mein Name ist Rebekka Holm, und das ist mein Kollege, Reza Aghajan.«
Jerome nickte ihnen kurz zu.
»Wir ermitteln im Mord an Ihrer Exfrau, Kissi Schack. Es tut uns leid, Sie mitten in Ihrer Trauer stören zu müssen, aber wir brauchen alles über Kissi, was wir bekommen können.«
Jerome schüttelte den Kopf. Ein paar große, knotige Hände kamen über der Decke zum Vorschein und hielten sich krampfhaft an deren Rand fest.
»Wir müssen so viel wie möglich über Kissis Leben in Erfahrung bringen. Ihre Familie, Freunde, Arbeitskollegen, Arbeitsabläufe …«
»Ihre Arbeit ist daran schuld. Ihre verdammte Arbeit.«
Jerome brach in Tränen aus, die Decke zitterte, und Liam eilte zu ihm und nahm ihn in den Arm, während er mit vom Weinen erstickter Stimme wieder und wieder flüsterte: » Oh love, I’m so sorry. I’m so sorry. « Rebekka und Reza warteten geduldig, bis er aufhörte zu weinen. Sie kannten das. Auch wenn die Ermittlungen unterschiedlich waren, so waren die Reaktionen der Angehörigen oft gleich. Jerome schniefte laut. Rebekka nickte Reza unmerklich zu, der Liam die Hand auf den Arm legte. Liam ließ Jerome los und sah Reza fragend an.
»Liam, ich finde, wir beide sollten Tee oder Kaffee machen, dann kann meine Kollegin in der Zwischenzeit mit Jerome reden.«
»Ja, natürlich.« Liam warf Jerome einen bekümmerten Blick zu, doch Jerome
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