Blut für Blut: Thriller (German Edition)
zustimmend.
»Ich nehme ihnen das auch nicht ab. Ich war ja mit Ali draußen im Geräteschuppen, und für einen, der alles selber macht, war sein Werkzeugkasten sehr klein. Andererseits kann es ja durchaus sein, dass sie gute Sparer sind, und es kann auch sein, dass sie wohlhabende Familienmitglieder haben. Diese Familien helfen sich in der Regel doch finanziell – das liegt einfach in ihrer Kultur. In meiner Familie schicken wir auch jeden Monat Geld an die Verwandten in Teheran, und denk mal an all die Au-pair-Mädchen von den Philippinen, die es hier im Land gibt. Ein Großteil ihres Lohns geht doch als Unterhalt an die Familien zu Hause auf den Philippinen. Das ist nur in Dänemark so, dass ihr eine andere Auffassung von familiären Pflichten habt.«
»Aber es ist schon selten, dass die Hilfe vom Süden in den Norden wandert, wie es dann hier der Fall sein müsste. Irgendetwas ist mir nicht geheuer bei dem Ganzen. Ein umgebautes Haus, ein neuer Mercedes in der Garage, eine moderne Küche, teure Möbel und Lampen. Ich habe sie gerade durch den Computer laufen lassen, wobei nichts herausgekommen ist, doch das ist schließlich keine Garantie dafür, dass sie nicht irgendeiner kriminellen Tätigkeit nachgehen, mit der sie massenhaft Schwarzgeld verdienen. Ich behalte sie im Auge.«
Sie machten sich an die Papierarbeit. Rebekkas Kopf fühlte sich schwer und müde an, die vielen Eindrücke machten ihr zu schaffen. Plötzlich sehnte sie sich danach, zu Hause in ihrer Wohnung zu sein, ohne redende Menschen und lärmende Telefone, nur mit einem Glas Rotwein in der Hand auf ihrer Fensterbank.
»Ich rufe mal an und überprüfe das mit dem Erbe und Liam«, sagte sie und sah zu Reza hinüber, der nur mit abwesendem Blick nickte. An was oder wen er wohl gerade dachte? Sie suchte die Telefonnummer von Kissis Exmann Jerome heraus und wählte. Liam nahm den Anruf an und gab sie widerwillig an Jerome weiter. Rebekka war sich sicher, dass der Engländer während des Gesprächs dicht neben seinem Lebensgefährten stand, um nur nichts zu verpassen. Sie erkundigte sich zunächst nach Jeromes Wohlbefinden, und er erzählte ihr, dass es langsam aufwärtsging, die eigentliche Trauerarbeit aber erst beginnen könne, wenn die Beerdigung überstanden sei. Sie hatten gerade erfahren, dass die Leiche freigegeben worden war, und planten jetzt Kissis Begräbnis für den kommenden Samstag. Rebekka zeichnete während des Gesprächs mit dem Kugelschreiber kleine Kringel auf ihren Block. Schließlich entstand eine Gesprächspause, in der sie ihre Frage stellen konnte.
»Jerome, wer beerbt eigentlich Kissi?«
Am anderen Ende der Leitung wurde es still, sie konnte die lautlose Konversation der beiden Männer nahezu hören. Dann räusperte Jerome sich laut.
»Die Kinder natürlich – aber auch Liam und ich.«
»Wieso sind Sie und Liam Erben von Kissi? Sie sind doch seit ein paar Jahrzehnten geschieden. Das ist ziemlich ungewöhnlich.«
Erneut folgen einige Sekunden Stille. Um was verdammt noch mal ging es hier eigentlich?
»Kissi hat das so verfügt. Es war eine Geste aufgrund unserer lebenslangen Freundschaft. Sie hat nicht damit gerechnet, dass es dazu kommen würde, ich bin schließlich knapp zehn Jahre älter als sie und hätte der Statistik zufolge als Erster sterben müssen.« Seine Stimme zitterte leicht.
»Wie verteilt sich das Erbe?«
»Wir erben nur das Haus in der Jens Juels Gade. Kissis Vermögen, die Hälfte des Bauernhofs und den größten Teil der Einrichtung erben natürlich Thomas und Marie-Louise.«
Nur das Haus. Ein renoviertes Haus im Kartoffelrækkerne-Viertel wie Kissis musste mindestens fünf, sechs Millionen Kronen wert sein, Finanzkrise hin oder her.
»Ich habe das Haus ja seinerzeit gekauft, bar bezahlt und es Kissi überlassen, als ich die Wohnung hier an Esplanaden gefunden habe. Deshalb erbe ich das Haus beziehungsweise wir.« Jerome klang erleichtert, das war eine plausible Erklärung für die ungewöhnliche Aufteilung des Erbes.
»Wissen Thomas und Marie-Louise von dieser Verfügung?«
»Natürlich. Sie finden sie gut und gerecht. Sie dürfen nicht vergessen, dass ich seinerzeit alles bezahlt habe.«
Als sie kurz darauf das Gespräch mit Jerome beendete, hatte ihre Mutter eine Nachricht auf ihrem Anrufbeantworter hinterlassen. Der Arzt war dagewesen und hatte sich Zeit gelassen, war gründlich vorgegangen. Es gab ein neues Medikament, das möglicherweise helfen konnte, hatte er gesagt. Der Vater sollte
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