Blut im Schnee
Thorsten so aus, als würde der Täter sich dort seine Opfer suchen. Nur warum? Was hatten die Männer denn getan?
Er fuhr nach Hause, warf einen Blick in den Briefkasten, der bloß Werbung enthielt. Seine Jacke warf er achtlos auf einen Stuhl, dann griff er sich das Netbook vom Regal und setzte sich damit an den Tisch. Thorsten rief die Website auf, die wie erwartet eine Jugendschutzsperre aufwies. Er überlegte kurz, ob er sich registrieren sollte, verwarf die Idee aber gleich wieder. Wäre der Täter tatsächlich dort auf der Suche, brächte er sich vielleicht selbst in Gefahr. Also versuchte er mit Martins Nickname auf dessen Profil zu kommen. Da er das Passwort nicht wusste, versuchte er es über die Erinnerungsfunktion. Er gab dessen Mail-Adresse in das Feld ein, erhielt aber die Meldung, diese wäre im System unbekannt.
Thorsten grübelte und meldete sich schließlich doch selbst an. Er wählte einen Fantasienamen und gab seine ehemalige Wohnadresse an. Es funktionierte – jedoch mit der Einschränkung, dass er bis zum Nachweis seiner Volljährigkeit nur eingeschränkten Zugriff auf die Seite haben würde. Alle Bilder wurden verpixelt dargestellt und er konnte weder kommentieren, noch private Nachrichten an die Nutzer versenden.
Es dauerte eine Weile, dann stieß er auf das Profil, das Gruber erwähnt hatte. Alle Bilder waren unkenntlich, dennoch erkannte er sofort, dass er Martins Seite gefunden hatte. Die Einträge über seine Person trafen zu. Die Kommentare, die andere Nutzer hinterlassen hatten, zogen Thorsten den Boden unter den Füßen weg. Auch wenn die meisten durch die Datumsangabe in die Zeit fielen, bevor sie ein Paar wurden, erbleichte er bei dem, was er dort las. Der letzte Eintrag stammte von dem Kerl, den Martin getroffen hatte.
Mr. Big: Ein geiler Nachmittag! Meinen dicken Prügel in deinem heißen, engen Arsch vergesse ich nicht so schnell!
17. November 2012 / 19:24
Wie hypnotisiert starrte er auf die Worte. Das Profilbild, welches Gruber ihm gezeigt hatte, schlich sich in seinen Sinn. Der Gedanke, dass Martin sich mit diesem Kerl vergnügt hatte – dass dessen Schwanz sich in Martin gebohrt hatte – die beiden Leiber in Ekstase dicht beieinander. Waren sie ‚safe‘ gewesen? Ihm brach kalter Schweiß aus, sein Herz begann wie wild zu hämmern und die Enttäuschung sowie die Angst vor einer möglichen Infektion, die sich in ihm breitmachten, beschworen Übelkeit herauf. Hastig sprang er vom Stuhl auf und rannte in die Gästetoilette, die sich glücklicherweise Parterre befand. Kaum hatte er den Deckel oben, erbrach er sich.
Thorsten würgte alles aus sich heraus, bis er glaubte, sein Magen sei auf Links gedreht. Schweiß stand ihm auf der Stirn und sein Atem ging flach und hektisch. Zitternd sank er auf die Fersen und betätigte die Spülung. Anschließend stand er auf und spülte sich den Mund aus. Tränen rannen über seine Wangen. Die jedoch hatten nichts damit zu tun, dass Martin ihn hintergangen und verletzt hatte. Einzig das Brennen in seiner Speiseröhre und das kräftezehrende Erbrechen waren der Grund.
Er müsste wütend oder traurig sein. Doch das Einzige, was er fühlte, war die Kälte, die sich um sein Herz ausbreitete. Da war nichts, keine Emotionen. Das Wissen um den Seitensprung hatte etwas verändert. Thorsten fragte sich, ob er Martin überhaupt gekannt hatte. So, wie er tatsächlich gewesen war. Er glaubte es nicht. Hatte Martin ihm eine Fassade gezeigt, nur einen Teil seiner Selbst? Nun ergab auch Kims anfängliche Vermutung einen Sinn. Wenn sie Martin bereitwillig unterstellte, mit einem anderen Kerl im Bett gewesen zu sein, waren diese Abenteuer offenbar nichts Ungewöhnliches für ihn. Nach seinem letzten Stand war Martin, so wie er selbst, negativ gewesen. Das ließ ihn hoffen, dass dieser Kerl und Martin wenigstens geschützten Sex gehabt hatten.
Kraftlos tappte er zurück an den Tisch. Er wusste, je eher er Enrique von diesen Neuigkeiten erzählte, desto besser wäre es. Doch er konnte sich nicht dazu aufraffen, dessen Nummer zu wählen. Er sank auf den Stuhl und blieb eine Zeit lang lethargisch dort sitzen. Tausend Dinge rasten durch seinen Kopf. Nichts von Belang, Kleinigkeiten und Situationen aus ihrem Alltag. Jetzt allerdings, wo er von der Affäre wusste, bemerkte er die Veränderung deutlich, die stattgefunden hatte. Martin war in der letzten Zeit anders gewesen und doch hatte er es zu diesem Zeitpunkt nicht bewusst wahrgenommen. Der romantische
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