Blut im Schnee
schluckte und zog abrupt seine Hand samt Spender zurück. Er fühlte sich, als habe er plötzlich einen Klumpen im Magen. Es war falsch, dass er Gefallen an Enrique fand, dennoch war es so. Leugnen war zwecklos, auch wenn er sich furchtbar mies dabei fühlte.
Enrique räusperte sich. „Verzeihung. Ich wollte dich nicht in Verlegenheit bringen.“
„Alles in Ordnung“, log Thorsten und lächelte gezwungen.
„Ich habe noch etwas, was dich vermutlich sehr beruhigt. Martin ist laut Bericht negativ gewesen – so wie die anderen Opfer auch.“
Ein Stein fiel Thorsten vom Herzen und er glaubte, den Aufschlag auf den Boden könnte man hören.
„Vielen Dank für die Info“, brachte er leise hervor.
***
Michael strahlte Zuversicht aus, als er in Joachims Büro trat.
„Hast du was?“
„Oh ja! Dieser religiöse Spinner ist aktenkundig. Er heißt Kurt Zimmermann, nennt sich aber Johannes – wie der Täufer. Er ist einundvierzig, derzeit in Saarburg gemeldet und hat bundesweit schon einige Anzeigen wegen seiner obskuren Ansichten gesammelt. Unter anderem, weil er diverse Fassaden mit Parolen beschmiert hat und ein Jugendcamp massiv mit seinen Predigten belästigte.“
Joachim zog fragend die Brauen nach oben. „Was für ein Jugendcamp?“
„Etwa achtzig Jugendliche, zwischen zwölf und achtzehn Jahren alt, waren in der Eifel im Ferienlager. Zimmermann ist da im Priestergewand aufgetaucht und hat von einem Baum herab durch ein Megafon gepredigt. Dabei hat er die jungen Leute als Sünder bezeichnet, das Camp mit Sodom und Gomorra verglichen und immer wieder gerufen, er verkünde den Willen des Herrn.“
Joachim tippte sich mit dem Zeigefinger an die Stirn. „Was denn, weil die Jugend sich da unsittlich näherkam?“
„Ihm wurde eine geistige Störung attestiert, worauf er ein Jahr in einer Psychiatrie verbracht hat. Seit ein paar Wochen ist er wieder raus. Hauptsächlich sind ihm Schwule und Lesben ein Dorn im Auge, wie du an der Homepage erkennen kannst. Er nimmt das Alte Testament zum Vorbild. Genaugenommen nutzt er das dritte Buch Mose als Leitsatz, auch als Levitikus bekannt, indem es heißt: ‚Du darfst nicht bei einem Mann liegen, wie bei einer Frau, das wäre ein Gräuel.‘ So gehört in Levitikus Homosexualität – ebenso wie Inzest, Ehebruch und Zoophilie – zu den schwersten Vergehen. Eines, auf das die Todesstrafe steht.“
„Na ja, fragt sich nur, ob er auch soweit ginge, diese vermeintlichen Sünder umzubringen …“
Michael zuckte mit den Schultern. „Zuzutrauen wäre es ihm. Jemand, der offen seinen Hass auf Homosexuelle zeigt, sich öffentlich an den Morden erfreut und sie für gerechtfertigt hält? Andererseits – er wäre dumm, wenn er so auf sich aufmerksam macht, sollte er der Täter sein.“
„Ich würde sagen, wir statten diesem Herrn Zimmermann mal einen Besuch ab“, erwiderte Joachim und stand auf.
Zusammen mit Michael machte er sich auf den Weg nach Saarburg. Dabei wählte er die kürzere Route über die K133, auch Wiltinger Kupp genannt, und brachte die zwanzig Kilometer Entfernung in weniger als dreißig Minuten hinter sich. Kurt Zimmermann wohnte laut Einwohnermeldeamt an der Hauptstraße, unweit der Kirche. Irgendwie passend für einen Mann, der seinem religiösen Eifer erlegen schien. Als Joachim ausstieg, prüfte er den korrekten Sitz und die Schussbereitschaft seiner Dienstwaffe und bedeutete Michael, das Gleiche zu tun. Anschließend schritten sie auf die Haustür zu, die von einem großen Kreuz geziert wurde.
„Hier scheinen wir ja richtig zu sein“, murmelte Joachim, ehe er die unbeschriftete Klingel betätigte.
***
„Nichts ist in Ordnung!“, entgegnete Enrique.
Thorsten nahm einen tiefen Atemzug, gab zugleich eine Portion des Zuckers in seinen Tee und stellte den Spender wieder auf den Tisch.
„Es mag sein, dass ich mich in Anbetracht deiner Situation anders verhalten sollte. Ich trenne normalerweise Beruf und Privat sehr strikt voneinander, doch bei dir will mir das wirklich nicht gelingen. Es tut mir leid, vielleicht willst du das gar nicht hören, aber ich kann nichts dafür. Denn ich fand dich vom ersten Moment an …“
„Hör auf“, unterbrach Thorsten ihn forsch. „Du hast recht. Ich will das nicht hören. Nicht jetzt, auch wenn es mir schmeichelt. Nichts ist Wichtiger als dein Auftrag.“
Enrique nickte, wenn auch zögerlich. „Also gut. Hast du mitbekommen, dass am Samstag eine Benefizparty veranstaltet
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