Blut im Schnee
Weg durch die Stadt trotz warmer Kleidung fror. Seine plüschige Jacke zog die Aufmerksamkeit der Passanten auf sich, dessen war er sich bewusst. Genau deshalb hatte er sie gekauft – und weil er die Farbe Lila liebte. Die Warnungen seiner besten Freundin Katja hatte er in den Wind geschlagen. Sie machte sich Sorgen, dass Jean durch seine offen zur Schau gestellte Homosexualität ein leichtes Ziel wäre und die Aufmerksamkeit dieses ‚Rippers‘ auf sich ziehen könnte. Er allerdings war so vorsichtig, wie es in der aktuellen Lage nur ging. Sobald es dunkel wurde, fuhr er mit dem Taxi und lief nicht allein durch die Straßen. Zudem trug er stets Pfefferspray bei sich. Im Großen und Ganzen fühlte er sich sicher.
Als er im ‚Porta Rosa‘ ankam, war es noch hell. Jean prüfte die Broschüren und suchte seine eigene Infomappe heraus, die schon durch viele Hände junger Leute gegangen war. Seine Art, alles locker anzugehen, half dabei, dass viele der Jugendlichen ihre Angst vor dem Anderssein verloren. Die Gesprächsrunde, die vierzehntägig angeboten wurde, zog verschiedene Besucher an. Manche kamen regelmäßig, andere nur einmalig. Auch an diesem Tag. Jean kannte ein paar der Gesichter und drei waren ihm völlig neu. Nach dem allgemeinen Gespräch in der Runde bot er wie immer an, dass er auch für eine persönliche Unterhaltung unter vier Augen zur Verfügung stand. Manche Dinge sprach man nicht gerne in der Gruppe aus und Jean wusste das.
Ein junges Mädchen war schließlich die Letzte, mit der Jean sprach. Sie war gerade fünfzehn und völlig durch den Wind. Als sie erkannt hatte, dass sie für ihre beste Freundin mehr empfand als reine Freundschaft, hatte sie Rat gesucht und diesen bei Jean gefunden. Mit der ihm eigenen Art beruhigte er sie, und als sie sich verabschiedete, dankte sie ihm dafür, dass sie nach den offenen Worten etwas klarer sah. Sie versprach wiederzukommen.
Jean verließ kurz nach ihr das ‚Porta Rosa‘. Das kurze Stück bis zur Bushaltestelle wollte er laufen und das Geld für ein Taxi einsparen. Also überquerte er die Straße, schritt zügig über den Willi-Brandt-Platz, um abzukürzen, und fühlte sich zwischen den parkenden Autos sicher. Bis er plötzlich einen Schlag in den Rücken bekam, der ihn stolpern ließ. Der Schreck half ihm, sich zu fangen und nicht der Länge nach hinzufallen. Doch ein Tritt gegen seine Beine verursachte genau das. Jean knickte ein, schlug mit dem rechten Arm gegen einen geparkten Wagen und stürzte anschließend zu Boden. Er atmete hektisch und versuchte in seine Tasche zu greifen, in der das Spray war. Die Schmerzen in seinem Arm ließen nicht zu, dass er schnell genug dran kam und auf dem Unversehrten lag er. Der Versuch, sich umzudrehen, wurde vereitelt, da jemand seinen Kopf packte und auf den Boden schlug. Ein Gefühl, als würde sein Schädel explodieren, machte sich in Jean breit – Tausende Sterne tanzten vor seinen Augen. Als fremde Hände sich an seiner Hose zu schaffen machten, hoffte er, dass er nur ausgeraubt würde. Er versuchte, wach zu bleiben. Doch das Gefühl, er würde wegdämmern, verschwand nicht. Es war erst kurz nach sieben, viele Geschäfte in der Stadt hatten noch geöffnet und der Parkplatz, auf dem er lag, war gut besetzt. Er betete, dass jemand vorbei käme, bevor es zu spät war.
Viel zu öffentlich für den Killer!, war das Letzte, was er dachte, ehe es endgültig schwarz um ihn wurde.
***
Andreas war auf dem Weg zu seinem Wagen, als er Zeuge der Situation wurde. Da kniete doch jemand über einem Menschen, der am Boden lag! Andreas konnte es erst nicht richtig erkennen, dann sah er, wie der dunkel gekleidete Angreifer etwas aus seiner Jacke zog – ein Messer! Die Klinge funkelte kurz, als der Lichtschein darauf fiel.
„Hey! Was machen Sie da?“, brüllte er.
Der mit einer Kapuze verdeckte Kopf schoss hoch. Andreas sah die Panik in den Augen, und obwohl der Mund mit einem Schal vermummt war, erkannte er, dass der Angreifer kein Mann war.
Mit donnernden Schritten näherte er sich und hoffte, dass er nicht zu spät kam. Nicht zu spät für den Kerl am Boden, dem die Hose an den Knien hing und dessen lilafarbene Felljacke vermuten ließ, weshalb er zum Opfer geworden war. Nicht zu spät, um dem Wahnsinn ein Ende zu bereiten, indem er die Frau festhielt. Kurz bevor er die Lücke zwischen den Wagen erreicht hatte, sprang die Angreiferin auf und lief durch die Gasse in Richtung Kreisverwaltung davon. Andreas
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