Blut ist dicker als Schminke
Mittagessen einzunehmen, so daß es gegen
drei Uhr nachmittags war, als ich den Laden des Kostümverleihs betrat. Der Mann
hinter der Theke war etwa sechzig Jahre alt, groß und feist, mit einem vom
Verfall gezeichneten Gesicht.
»Guten Tag, Sir .« Die Wände erzitterten, als sein Baß im Raum widerhallte.
»Sie möchten ein Kostüm leihen ?«
»Das eigentlich weniger«,
versetzte ich und legte meine Dienstmarke auf die Theke.
Er hob sie mit spitzen Fingern
auf und betrachtete sie kritisch.
»Nun, es ist ja wohl immerhin
ein Anfang .« Er ließ sie aus den Fingern wieder auf
die Theke gleiten. »Aber ein origineller Einfall ist es nicht, Sir .« Er schnüffelte geringschätzig. »Ich meine, entweder-oder .«
»Was, entweder-oder ?«
»Entweder ist es ein Maskenfest
oder nicht .« Seine dunkelbraunen Augen musterten mich
mit Verachtung. »Ich meine, das widerspricht doch eigentlich dem Sinn der
Sache, nicht wahr? Wo bleibt da der Spaß, die Aufregung ?« Er schüttelte den Kopf. »Stellen Sie sich doch einmal vor, wie es werden wird,
Sir. Da sind Sie nun auf diesem herrlichen Fest, umgeben von all diesen bunten
Masken. Zu Ihrer Linken ein draufgängerischer Pirat. Zu Ihrer Rechten eine
strahlende Madame Pompadour. Vor Ihnen ein eleganter Kavalier. Und dann fragt
Sie jemand, was Sie eigentlich darstellen .« Er
schürzte spöttisch die Lippen. »Wer? Ich?« Seine Stimme schwang sich ins
Falsett. »Oh, ich bin ein Polizeibeamter. Da, sehen Sie, hier ist meine
Dienstmarke .«
»Vielleicht haben Sie recht«,
meinte ich kleinlaut. »Haben Sie auch ein Hofdamenkostüm zu verleihen ?«
»Darauf gibt es nur zwei
Antworten«, versetzte er. »Entweder sind Sie schwul, oder Sie wollen mich auf
den Arm nehmen. Wie ein Homosexueller sehen Sie nicht aus, aber mit zunehmendem
Alter stelle ich fest, daß es immer schwieriger wird, das zu erkennen .«
»Ich bin ein echter
Polizeibeamter«, sagte ich, nahm die Quittung aus meiner Brieftasche und
reichte sie ihm. »Erinnern Sie sich an den Mann, der das Kostüm auslieh ?«
»Ein Clown?« Er schloß die
Augen und stand so lange reglos da, daß ich mich schon fragte, ob die Welt
plötzlich zum Stillstand gekommen war. »Nein«, sagte er dann unvermittelt und
schlug die Augen wieder auf. »Clownskostüme sind in letzter Zeit bei uns sehr
gefragt. Von beiden Geschlechtern.«
»Der Name war Chase«, sagte
ich. »Er mietete das Kostüm im Lauf des gestrigen Tages. Können Sie sich
wirklich nicht an ihn erinnern ?«
»Ein kleiner Dicker mit
Brille?«
»Nein«, knirschte ich.
»Dann kann ich mich leider
nicht an ihn erinnern .« Er zuckte ostentativ die
Achseln. »Die Leute, die sich als Clowns verkleiden wollen, interessieren mich nie
sonderlich. Langweilige Introvertierte, die solche Angst davor haben, etwas von
ihrer eigenen unzulänglichen Persönlichkeit zu enthüllen, daß sie es gar nicht
erwarten können, sich in der Anonymität von Pluderhosen und Theaterschminke zu
verstecken .«
»Hat sonst jemand in den
letzten zwei Tagen ein Clownskostüm geliehen ?«
»Ich werde gleich nachsehen .«
Er zog ein großes,
abgegriffenes Buch unter der Theke hervor, schlug es auf und fuhr mit dem
Finger langsam eine Liste von Namen hinunter.
»Am Montag nicht«, verkündete
er.
»Und gestern?«
»Ah, da ist Ihr Mr. Chase .« Der Finger rutschte weiter, hielt dann ein Stück tiefer
an. »Da ist noch einer. Ein gewisser Smith.«
»Adresse?«
»Um Adressen kümmere ich mich
nicht«, erwiderte er. »Ich lasse mir einfach eine Kaution zahlen, die doppelt
so hoch ist wie der Wert des gemieteten Kostüms. Und dann drücke ich die
Daumen, daß sie das Kostüm nie zurückbringen .«
»Ich kann Ihnen garantieren,
daß Chase sein Kostüm nicht zurückbringen wird«, sagte ich. »Können Sie sich
erinnern, wie Smith aussah ?«
»Ja, an den erinnere ich mich .« Er schlug das Buch zu. »Ein aufreizender junger
Grünschnabel. Und eingebildet. Ich hasse eingebildete Leute, besonders wenn sie
noch dazu jung sind .«
»Ich würde Ihnen gern danken«,
bemerkte ich, »aber ich sehe keinen Grund dazu, und ich würde mich höchstens
zum Lügner machen, wenn ich Ihnen versicherte, daß Sie mir eine große Hilfe
waren. Sie waren mir überhaupt keine Hilfe. Was bleibt da also noch zu sagen ?«
»Auf Wiedersehen«, schlug er
vor.
Es war Zeit, fand ich, mich
wieder einmal im Büro sehen zu lassen und mit Sheriff Lavers die Friedenspfeife
zu rauchen. Seine Sekretärin, Annabelle Jackson, hackte
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