Blut klebt am Karlspreis
diese dumme Parole steckte in ihren Köpfen und prangte auf den einfachen Flugblättern, die bisweilen an Bäumen oder Mauern angeklebt waren. Was konnte diesem Schlagwort mehr dienen als ein Attentat bei der Verleihung des europäischsten aller politischen Preise, dem internationalen Karlspreis von Aachen?
Aber eigentlich war diese Überlegung absurd. So weit würde es nicht kommen. Bestimmt hatte der Schreiberling die Nachricht seines Verwandten überbewertet oder falsch interpretiert. ,Vielleicht sollte ich mich aber dennoch einmal um die Vermutung kümmern’, dachte ich mir, ,rein aus privatem Interesse und mit dem Wissen, dass ich im Prinzip mit der ganzen Sache nichts zu schaffen hatte.’ Ich ertappte mich dabei, dieser Sache mehr Bedeutung beizumessen als meinen Mandanten Loogen und Brandmann. Aber was waren die beiden schon im Vergleich zum britischen Premier?
Nichts, genauso wenig wie ich. Und mit dem beruhigenden Gefühl, ein Nichts zu sein, schlief ich ein.
Auch am nächsten Morgen ließ mich die wahrscheinlich haltlose Vermutung einfach nicht los. In einem Telefonat bat ich den AZ-Reporter um Archivmaterial über den Karlspreis, das er mir freundlicherweise bereitlegen lassen wollte. „Sonst etwas Neues gehört?“, fragte ich aus Höflichkeit.
Aber der Schreiberling verneinte. Es schien mir, als wolle er die Vermutung aus seinem Gedächtnis verdrängen. Ich könne das Material am Nachmittag in der ZVA-Geschäftsstelle an der Theaterstraße abholen, sagte er kurz angebunden und legte auf.
Beiläufig ließ ich meinen Blick über die Tageszeitung schweifen. Ein Bombenattentat in London, das der IRA zugeschrieben wurde, erschien mir auf einmal näher als je zuvor. Der terroristische Anschlag war ohne Personenschaden abgegangen, machte aber deutlich, dass zu jeder Zeit Extremisten attackieren konnten. War es wirklich so abwegig, dass IRA, deutsche und andere Neonazis gemeinsame Sache machen wollten, um bei der Karlspreisverleihung für Terror zu sorgen? Andererseits schien mir der Gedanke von sehr weit hergeholt. Es gab zu viele IRA-Anschläge, um ausgerechnet aus diesem, vergleichsweise glimpflich verlaufenen eine Beziehung zur Preisübergabe an den Premier abzuleiten.
Zum Toten im Aachener Hauptbahnhof war im Lokalteil eine kleine Notiz versteckt. Die Polizei habe inzwischen die Identität des Todesopfers ermittelt, sie sei aber bei den Untersuchungen noch nicht weit gekommen und bitte nochmals eventuelle Zeugen, sich zu melden, so hatte es jedenfalls die Zeitung geschrieben. Mit keinem Wort ging der AZ-Reporter auf den vermeintlich rechtsradikalen Hintergrund des Opfers ein, den er vermutete, weil ihn die Polizei vielleicht vermutete.
Ich schob das Blatt zur Seite und widmete mich dem Aktenberg, der sich vor mir auf meinem Schreibtisch türmte. Schnell war ich in meinen Ritt auf den Paragraphen vertieft und vergaß die heile, böse Welt um mich herum.
Erst durch Sabine ließ ich mich am Mittag stören. Sie wollte mich zu ihr nach Hause entführen. „Einmal in deinen Armen liegen und wenn es nur für eine Stunde ist“, hatte sie lächelnd gesagt.
Am späten Nachmittag kehrten wir zufrieden zur Theaterstraße zurück. Auf meinem Schreibtisch fand ich zwei Notizzettel, die unser Bürovorsteher mit Nachrichten für mich hinterlassen hatte. Zuerst sollte ich Loogen in Bardenberg anrufen, anschließend wünschte Böhnke im Polizeipräsidium meinen Rückruf.
„Ich bin wieder zu Hause!“ Franz Loogen schrie mir fast schon überdreht die Nachricht ins Ohr. „Vielen Dank, Herr Grundler.“ Es fiel mir schwer, den Jungen zu beruhigen. Wie hoch mein persönlicher Anteil an seiner Freilassung war, wusste ich nicht. Wahrscheinlich wäre Franz Loogen auch ohne mich aus der Justizvollzugsanstalt entlassen worden’, dachte ich mir, ohne es ihm zu sagen. „Was ist denn passiert?“, fragte ich vielmehr.
Am Morgen sei er aus der Zelle geholt worden, berichtete der Junge. Der Staatsanwalt habe ihm erklärt, er sei frei und würde nach Bardenberg gebracht werden. Seine Mutter sei schon informiert.
„Hast du denn kein Schreiben mitbekommen?“
„Doch“, antwortete der Junge, „wollen Sie wissen, was darin steht?“
„Aber klar doch.“
„Das Ermittlungsverfahren ist eingestellt worden“, las Loogen vor.
„Mehr nicht?“
„Irgendwo steht noch, dass es keinen Tatverdacht mehr gibt. Er hat sich nicht bestätigt“, hörte ich den Jungen sagen. ,Die Erklärung war sehr
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