Blut klebt am Karlspreis
der Entführung von Lennet Kann das Leben nicht unbedingt leichter gemacht hatte. „Wenn der in der Kanzlei anruft, um uns zu sprechen, lassen wir ausrichten, wir würden zurückrufen“, schlug ich Dieter vor. „Von uns bekommt der keine Informationen.“
Das Frühstück schmeckte mir nicht mehr, obwohl mir Sabine gegenübersaß. Ich war froh, als sie vorschlug, früher als gewohnt ins Büro zu fahren.
Normalerweise gehe ich zu Fuß durch die Aachener Innenstadt, nur nach den nächtlichen Besuchen meiner Sekretärin begleite ich sie morgens in ihrem Polo zur Theaterstraße.
Ein eigenes Auto hatte ich mein Leben lang noch nicht besessen und würde mir wahrscheinlich auch für die letzten fünfzig Jahre meines irdischen Daseins keines mehr anschaffen. Und meinen Beschluss, auf einen eigenen Wagen zu verzichten, bereute ich auch jetzt nicht, als wir uns stinkend durch die Innenstadt stauten.
Nach der allmorgendlichen Organisationsarbeit in der Kanzlei gemeinsam mit Jerusalem machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Monheimsallee. Die milde Frühlingssonne verbreitete Heiterkeit, viele Frauen lächelten mich an, als ich flott und fröhlich pfeifend losmarschierte.
Den Artikel in der AZ hatte ich längst verdaut, auch die AN hatte, wie ich auf der Toilette gelesen hatte, Wind von der bevorstehenden Hausräumung bekommen und Partei für die Studenten ergriffen. Gerne hätte ich gewusst, wie die beiden Tageszeitungen an die Informationen gekommen waren, aber ich hätte mir eher die Zunge abgebissen, bevor ich sie danach gefragt hätte. ‘Im Prinzip konnten die Zeitungen nur von einem benachrichtigt worden sein’, dachte ich mir: von Eduard Brandmann. Warum er vorgeprescht war, würde er mir bei unserem nächsten Telefonat zu erklären haben.
Der mehrgeschossige Altbau, der nach Brandmanns Auffassung fast abbruchreif war, fiel sofort auf in der Häuserreihe gegenüber Eurogress und Quellenhof. Der schmutzige, graue Putz, der an manchen Stellen der Fassade bereits abbröckelte, hatte dringend eine Auffrischung verdient. Die hölzernen Fensterrahmen waren schon seit Jahren nicht mehr gestrichen worden, die einfache Verglasung war stellenweise milchig-trüb.
In gewisser Weise musste ich Brandmann nachträglich zustimmen, das war eine Bruchbude, um deren Abriss es nicht schade wäre.
Offensichtlich störte dieser marode Zustand die Studenten keinesfalls, durch die gardinenlosen Fenster ließen sie jedermann ungeniert in die hohen Räume blicken. Die hölzerne, schwere Tür, die in einen dunklen, breiten Hausflur führte, war zu meiner Überraschung nur angelehnt. Ich hatte weder einen Klingelknopf noch einen Briefkasten gesehen.
Neugierig hielt ich den Briefträger auf, der im Moment vorbeikam und einige Briefe in den Hausflur warf. „Wissen Sie etwa, wer hier alles wohnt?“, fragte ich den flinken Mann, der verneinte.
„Ich orientiere mich nur an der Hausnummer. Ich glaube, das ist hier ein ständiges Kommen und Gehen. Manche Typen sind mir richtig unheimlich.“ Er schüttete ungehalten seinen Kopf. „Ich weiß beim besten Willen nicht, warum die Stadt Aachen so etwas überhaupt zulässt.“ Meine Antwort erwartete der Postler nicht mehr, grußlos wandte er sich ab und strebte dem nächsten Haus zu.
Ich konnte mir gut vorstellen, dass die Hausbesetzer nicht unbedingt unverzüglich zur Verwaltung liefen und dort ihren neuen Wohnsitz anmeldeten. In der überschaubaren Anonymität ließ es sich gut leben und es war nicht damit zu rechnen, dass der Oberbürgermeister einen seiner kleinen Beamten losschicken würde, um die Studenten auf die Verfehlungen und Versäumnisse hinzuweisen. Sie hätten garantiert das Männlein nur ausgelacht.
Lachen würden sie wahrscheinlich auch, wenn sie unser anwaltliches Schreiben, gerichtet an die Gemeinschaft der Hausbewohner, erhalten würden. Ich freute mich schon auf die Rücksendung des Einschreiben durch die Post, nachdem der Briefträger vergeblich versucht hatte, den Brief abzugeben. Brandmann hat es nicht anders verdient, sagte ich mir. Allein wegen seines unverschämt schneidigen Vorgehens mir gegenüber hatte er einen Denkzettel verdient.
Ich bückte mich und wollte vorsorglich einige Namen notieren, die ich auf den Briefumschlägen lesen konnte. Doch ich kam nicht weit.
„Was machen Sie hier?“, fuhr mich eine ärgerliche Stimme in meinem Rücken an. „Was wollen Sie?“
Langsam drehte ich mich um und sah einem jungen Mann,
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