Blut Licht
entgegnete mein Mann kurz angebunden und zwinkerte meiner Mutter zu. „Gewisse Verpflichtungen sind generationenübergreifend. Man bleibt der Familientradition treu, obwohl das eigentliche Interesse an anderer Stelle liegt. Sie kennen das sicher.“
„Natürlich“, gab meine Mutter lächelnd zurück. „Das verstehe ich sehr gut. Frederico ist Jurist geworden, weil es in seiner Familie schon lange eine Tradition ist. Seine Familie betreibt in Venedig seit vielen Jahren erfolgreich eine Kanzlei.“
„Dann stammen Sie aus Venedig?“, wechselte Ernestine gekonnt das Thema, da sie merkte, wie unangenehm mir diese Fragen um Darians Berufsfeld wurden. Ich mochte nur ungern über ein Thema sprechen müssen, das für mich unbekanntes Terrain darstellte. Mutters Ehemann nickte, legte die Gabel beiseite und bemühte seine Serviette. Während er sie faltete und ablegte, erklärte er: „Ja, ich wurde als zweiter Sohn einer langen Reihe von venezianischen Advokaten geboren. Allerdings kehrte ich nach meinem Studium nicht mehr nach Venedig zurück, während mein Bruder Andrea in die väterlichen Fußstapfen trat und die Kanzlei übernahm.“ Er lachte verschmitzt. „Familienrecht ist noch nie mein Interessengebiet gewesen, von daher kann ich Sie überaus gut verstehen, Signor Knight, wenn Sie ein Genre für sich wählen, das Ihren Interessen näher kommt als das väterlich vorgezeichnete.“
„In dem Fall möchte ich vermuten, dass ihr Gebiet nicht das Familienrecht ist?“, resümierte Darian und Frederic nickte amüsiert. „Strafrecht ist weitaus spannender.“
„Oh, das glaube ich gern“, warf ich ein, schob meinen geleerten Vorspeisenteller ein wenig beiseite und nahm mein Weinglas in die Hand. „Woran arbeitest du derzeit? Sicherlich etwas Interessantes?“ Bei seiner nun folgenden Antwort wünschte ich mir, einen weitaus winzigeren Schluck Wein genommen zu haben. „Derzeit arbeiten wir an einem für uns unerklärlichen Doppelmord, der momentan durch die Presse geht. Sicherlich habt ihr die Zeitungen gelesen.“
Während ich darum rang, den Wein nicht quer über den Tisch zu spucken, blieb mein Mann bezeichnend gelassen. Er spülte eine weitere Schinkenrolle mit Rotwein herunter und meinte: „Aber ja. Diese beiden Toten im Kolosseum. Ich habe vorhin noch darüber gelesen. Noch keine Spur?“
„Wir wissen inzwischen, wer die Toten sind. Allerdings haben wir keinerlei Hinweise darauf, wie sie dorthin gelangt sind.“
„Können wir bitte über etwas anderes sprechen“, warf meine Mutter ein und sah ihren Mann bittend an. „Solche Themen gehören nicht hierher, Frederico.“
Ich warf ihr einen dankbaren Blick zu, verfluchte meinen Bruder für das Auslösen meiner Kamera und hustete verhalten in meine Serviette. Dabei betete ich still darum, von weiteren Überraschungen dieser Art als auch von Fotos mit dümmlichen Grimmassen verschont zu werden. Zeitgleich sorgte das erneute Auftauchen unseres Kellners für die willkommene Unterbrechung. Die geleerten Teller wurden gegen gefüllte ausgetauscht und die Weingläser erhielten neuen Inhalt. Daneben konnten Dad und Alistair sich abermals ein Bier bestellen. Das Vorige musste irgendwie verdunstet sein.
Während des Zwischenganges erzählte meine Mutter von ihrem kleinen Ferienhaus am Strand und lud uns spontan dorthin ein. Sie überraschte uns, indem sie sogar Dad und Alistair in diese Einladung einschloss. Offenbar waren die Wogen geglättet. Auf welch wundersame Weise auch immer das geschehen war. Als mein Augenmerk jedoch an Darian hängen blieb und ich sein unterschwelliges Lächeln bemerkte, erübrigte sich der vorangegangene Gedanke.
Gleichsam wunderte es mich, dass meine Mutter inzwischen die Stadt verließ. Vor einem Jahr war das für sie ein unerträglicher Gedanke gewesen. Was hatte ihre Meinung diesbezüglich geändert? Dennoch wagte ich nicht, diese Frage zu stellen, denn ich wollte weder alte Wunden aufreißen noch in irgendwelchen Erinnerungen graben. Ich hoffte, die Antwort darauf in den folgenden Gesprächen erfahren zu können.
Meine zweite, heimliche Sorge galt meinem Mann. Neben dem Verfolgen der Konversationen am Tisch galt ein Teil seiner Aufmerksamkeit der Nahrungsaufnahme. Zuerst die Schinkenröllchen, danach totes Tier, Pilze und Käse und anschließend Schokolade und das Ganze abgemischt mit drei Gläsern trockenen Rotweins. Wenn das nur gut ging. Vielleicht sollte ich mich glücklich wähnen, dass er jedes Mal nur einen geringen
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