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Blut Licht

Titel: Blut Licht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rebecca Abrantes
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Prompt rempelte mich ein Möbelpacker an und schubste mich gegen die hohe Standuhr. Zum Dank für diese ungehörige Behandlung protestierte sie mit einem lauten Schlag. Natürlich erschien Darian auf der Bildfläche und bedachte mich mit einem Blick, der frisches Gemüse umgehend schockgefroren hätte.
    „Ernestine und Dad sind mit der Kleinen unterwegs. Ich habe frei. Brauchst du Hilfe?“, versuchte ich die aufkommenden Wogen zu glätten. Erfolglos, denn er winkte energisch ab. „Nein. Es herrscht auch so schon ein heilloses Durcheinander. Such dir eine Beschäftigung, wenn dir langweilig ist, Faye.“
    „Und die wäre?“, brummte ich ihn unwillig an. Seine Launen gingen mir allmählich auf die Nerven.
    „Was weiß ich? Nur bitte, steh nicht im Weg herum.“ Er befand sich auf dem Rückweg die Treppe hinauf, als er innehielt, sich zu mir umdrehte und in seine Tasche griff. „Hier, ein wenig Starthilfe. Tu, was Frauen eben tun. Geh shoppen, lass dir die Nägel maniküren, trink einen Kaffee oder geh zu einem Frisör. Was immer dir gefällt.“ Er drückte mir etwas in die Hand und verschwand die Stufen hinauf. Perplex blickte ich ihm nach, und anschließend auf meine Hand. Eine Rolle gebündelter Banknoten starrte mir entgegen. Sechshundert Pfund insgesamt, alles zwanzig Pfund-Noten. Ich fasste es nicht. Er drückte mir Geld in die Hand und ließ mich dann einfach stehen.
    Beinahe wäre ich ihm nachgeeilt und hätte es ihm vor die Füße geworfen. Beinahe. Eben noch rechtzeitig unterdrückte ich diesen Impuls und steckte das Geld ein. Er wollte, dass ich es ausgab? Dann sollte es so sein.
    Ich holte meine alte, verschlissene Lederjacke aus dem Schrank im Schlafzimmer, steckte das Handy ein und eilte zurück in das Büro. Meine Hand schwebte am Schlüsselbord über dem Schlüssel meines alten Käfers, als mein Blick an dem daneben hängenblieb.
    Fünf Minuten später erfreute sich mein Gehör am satten Sound von Darians knallroten, offenen 1959 Austin Healey 3000. Sportlich fuhr ich aus der Scheune und die breite Allee entlang, dass der Kies des Weges nur so spritzte.
    Darian wollte, dass ich etwas unternahm. Nur zu. Ich hatte frei. Ich hatte seinen Lieblingswagen, den ich schon immer einmal hatte fahren wollen. Das Wetter spielte mit, die Sonne schien und es war herrlich warm. Zudem hatte ich die Taschen voll mit Geld. Was wollte ich mehr?
    Gut gelaunt winkte ich den dunkeln Rover mit den getönten Scheiben an mir vorbei und zuckelte dann ganz gemütlich die ländliche Straße entlang.
    London, ich komme.
    Bevor ich mich in das bunte Treiben der konsumbehafteten Stadt warf, hatte ich noch etwas zu erledigen. Ein Anliegen, das ich seit Wochen schon vor mir herschob und das nun endlich nach Durchführung drängte. Sowohl moralisch als auch praktisch.
    Die Stille auf dem Friedhof vermittelte mir ein wenig Ruhe. Ich hatte den Wagen auf dem Parkplatz abgestellt und schlenderte gemächlich durch Reihen alter Gräber. Viele Grabsteine waren inzwischen verwittert, durch Wind und Regen abgeschliffen und die Innschriften kaum mehr lesbar. Uralte, hohe Eichen spendeten kühlen Schatten und nur gedämpft drangen die Geräusche der Großstadt bis zu mir vor. Es schien, als schluckten die Bäume jeden unnötigen Laut und sorgten durch ihr dichtes Blätterwerk über den Gräbern wie ausgebreitete Schwingen für Schutz und Frieden.
    Mein eigentliches Ziel lag im hinteren Bereich des Friedhofs, dort wo eine brachliegende Wiese an das Gelände grenzte. Das Neuland. Und doch nicht mehr ganz so unberührt wie noch vor einem Jahr. Schon von weitem entdeckte ich frisch aufgeschüttete Erdhügel sowie vertrocknete Kränze und Grasbüschel.
    Ich brauchte einen Augenblick, ehe ich das Gesuchte fand. Julies Grab. Jenes Grab, von dem ich wusste, dass es zwar ihren Namen trug, jedoch eine andere Person beherbergte. Eine mir unbekannte Frau, die wir anstelle von Julie dort beerdigt hatten, um nach außen hin den Schein zu wahren. Dennoch war auch ein Teil meiner Schwester dort beerdigt. Ihre Asche, das, was von ihr nach ihrer Verwandlung und ihrem gewaltsamen Tod übrig geblieben war.
    Im stummen Gedenken saß ich eine Weile im Schneidersitz vor ihrem Grab auf der Erde. Ich dachte gezielt an die gemeinsamen schönen Momente. An ihr Lachen und auch Weinen. Gemeinsame Filme, Kochabende, Einkaufstouren. Daran, wie sie unentschlossen vor ihrem übervollen Kleiderschrank gestanden hatte, weil sie wieder einmal nichts zum Anziehen gehabt hatte.

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