Blut Licht
geschlossene Tür. Na gut, nicht alle, denn vom Herd her durchschnitt ein leises Schmatzen die atemlose Stille. Unsere Köpfe flogen herum und wir entdeckten Steven, der soeben mit einer entrückten Mimik genussvoll die Bratensauce von seinen Fingern ableckte. Ernestine räusperte sich hörbar. Steven zuckte zusammen, grinste blöd und eilte dann hinaus. Unser Lachen folgte ihm bis hinaus in den Flur.
„So.“ Voll Tatendrang klatschte Ernestine in die Hände. „Ihr macht euch fertig für euren Dauerlauf und ich werde in der Zeit die Küche aufräumen. Nimmst du Lilianna mit oder benötigst du einen Babysitter?“
„Ich setze sie in den Buggy. Frische Luft tut ihr gut.“ Ich gab meiner Süßen einen Kuss und klaubte ihr gleichzeitig Kartoffelreste vom Ärmel.
„Wunderbar. Dann los mit euch. Husch, husch. Und Kahina, bitte Arya, seinen Teller herzubringen, wenn er mit dem Essen fertig ist.“
Fragend sah ich sie an. Ich hatte mich ohnehin schon still gefragt, wo Arya steckte. Seit dem Vorfall hatte ich ihn nicht mehr gesehen. Hatte Kahina ihm Stubenarrest verordnet?
Indes war Kahina aufgestanden. „Ich werde es ihm ausrichten.“ Damit trabte sie hinaus.
Hurtig positionierte ich Lilianna auf meiner rechten Hüfte und eilte der jungen Perserin nach. „Warum war er beim gemeinsamen Essen nicht anwesend?“
Sie blieb im Foyer stehen und sah mich verwundert an. „Er ist mein Diener. Es gehört sich nicht, dass er an meinem Tisch sitzt.“
„Jason sitzt mit uns gemeinsam am Tisch, selbst wenn er für einige Menschen vielleicht eine Position ausfüllt, die ihnen dafür nicht ganz standesgemäß erscheint“, erwiderte ich ungewollt scharf.
„Du bist mit unseren Sitten nicht vertraut, Faye“, schmetterte sie meine Argumentation umgehend ab. „Jeder Mensch hat seinen Platz. Dort gehört er hin und dort wird er bleiben. Als moderne, fortschrittlich eingestellte Europäerin magst du unsere traditionellen Bräuche, sowie unsere Vorstellungen von Moral und Anstand vielleicht nicht verstehen und als überaltert betrachten, aber sie geben uns Stabilität und Sicherheit. Etwas, das in unserem zerrütteten Heimatland und einer dadurch zerrissenen Gesellschaft absolut notwendig ist. Was sonst hätten wir an Werten, wenn wir unsere eigenen Traditionen auf einmal mit den Füßen treten würden? Der Aufbruch in neue Zeiten kann auch auf traditionelle Weise erfolgen. Ich bitte dich, das zu respektieren und dich nicht in Belange einzumischen, die dich nicht betreffen.“ Sie atmete tief durch, senkte plötzlich den Blick und schüttelte gleichzeitig den Kopf. „Entschuldige. Ich hätte mit dir nicht so sprechen dürfen.“
Alle Achtung. Erst erhielt ich eine deutliche Zurechtweisung und kurz darauf eine Entschuldigung. Dabei war sie doch im Recht. Ich hätte mich tatsächlich nicht einbringen dürfen. Selbst, wenn der Tisch - weitestgehend - mir gehörte, an dem sie heute gesessen hatte.
„Vergiss es.“ Ich verspürte den dringenden Wunsch, sie in meine Arme zu ziehen und beschränkte mich dennoch auf eine sanfte Berührung an ihrer Schulter. „Der Fehler lag bei mir. Ich habe eine andere Einstellung, resultierend aus meiner genossenen Erziehung. Vielleicht können wir auch in dieser Hinsicht voneinander lernen und irgendwann zu einem Konsens gelangen.“
Sie begann still zu lachen, sah mich wieder an und zeigte mir ein breites Grinsen. „Dann schaffen wir vielleicht genau das, woran so unendlich viele, radikal denkende Menschen aus meiner und deiner Kultur regelmäßig scheitern. Ich habe auch schon eine Idee, wie wir damit beginnen könnten.“
„Ach ja? Wie?“
Ihr Grinsen wurde eine Spur breiter und sie zupfte an ihrer langen, weinroten Tunika. „Kannst du mir geeignete Kleidung und ein Paar deiner Laufschuhe leihen?“
Das gemeinsame Joggen war eine Wohltat, und Spaß obendrein. Mehrfach mussten wir kleinere Pausen einlegen, weil wir vom vielen Lachen regelmäßig Seitenstiche bekamen.
Dad hatte den Buggy übernommen und schob ihn im rasanten Zickzack-Kurs die Laufstrecke entlang, wobei Lilianna aus dem begeisterten Kreischen kaum noch herausgekommen war. Ich war baff erstaunt, wie wendig er trotz seiner Masse war. Mein Dad, nicht der Buggy!
Kahina hatte anfangs Schwierigkeiten mit dem eng anliegenden Sport-Dress gehabt, da sie bisher ausnahmslos weitere Kleidung be vorzugt hatte. Doch nachdem sie die leuchtenden Stielaugen meines Bruders bemerkt hatte, der seit dem Start nicht mehr von ihrer Seite
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