Blut muss fließen
ist der Stoff, aus dem die Philosophie von Ian Stuart Donaldson gemacht war. Sie fußte auf folgender Beobachtung: »Ein Flugblatt wird nur einmal gelesen, aber ein Lied wird vom tiefsten Herzen heraus gelernt. Das wiederholt sich tausende Male.« So zitiert ihn Paul London, der eine (auch ins Deutsche übersetzte) Biografie aus Szenesicht geschrieben hat: Ian Stuart. Der Rock-Rebell. Der »Skrewdriver«-Sänger verwendete seine Gitarre als politische Waffe, seine Musik verabreichte er als ideologische Droge. Ein Auszug aus einem seiner Lieder: »Nigger, nigger, go, go, go … We’ve got to love this land of ours, and fight to keep it white. Never going to give it up, cos we know we’re in the right. And if they try to take it we will fight them to the death.« Eine vertonte Morddrohung gegen dunkelhäutige Einwanderer.
Es klingt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass dieser Ian Stuart Donaldson mit seiner Band »Skrewdriver« zunächst in der Punkszene zuhause war – Ende der 70er Jahre. So beschreibt es sein | 82 | Biograf Paul London, der angibt, als 14-jähriger Skinhead zum ersten Mal Ian Stuart getroffen zu haben. Er schildert in seinem Buch ein Foto-Shooting, bei dem sich die spätere Neonazi-Kultband einen Raum mit den »Sex Pistols« geteilt habe. Er erwähnt »Skrewdriver«-Auftritte mit Gruppen wie »The Police« und den »Boomtown Rats«, deren Sänger Bob Geldof bei diesem Konzert offenbar verletzt wurde, als es zu Tumulten kam, an denen die »Skrewdriver«-Crew beteiligt gewesen sein soll.
Gewalt zieht sich wie ein roter Faden durch die Biografie des Ian Stuart. Nach einer Schlägerei mit Dunkelhäutigen wurde er zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Laut Autor London baute der kampferprobte Bandleader zudem im Auftrag der National Front – einer in den 70er Jahren sehr einflussreichen rechtsextremistischen Partei in Großbritannien – eine »Eingreiftruppe« auf, großteils mit Skinheads. Die Partei bot ihrem Soldaten mit dem Label White Noise eine Struktur, um die »Skrewdriver«-Schallplatten zu verkaufen. Der Handel mit dem Rock Against Communism war ein lukratives Geschäft, wurde aber später zum Streitpunkt, der zum Zerwürfnis Stuarts mit der Partei führte. Im Sommer 1987 verließ er die National Front, um »die nationale Musikszene und deren Anhänger zu vereinigen«, wie Biograf London schreibt. »Die neue Organisation wurde auf den Namen ›Blood & Honour‹ getauft.« Benannt nach dem Leitspruch der Hitlerjugend: »Blut und Ehre.«
Das Neonazi-Netzwerk trat einen Siegeszug durch Europa und darüber hinaus an – überall mit denselben Mitteln. Mit Rockkonzerten, um junge Leute zu ködern. Mit dem Verkauf von Schallplatten und CDs, um die Bewegung zu finanzieren und um mit Politik Profit zu machen. Und mit der Herausgabe eines Magazins, um die Szene zu informieren und die rassistische Weltanschauung zu verbreiten. Deutsche Verfassungsschutzämter schreiben Ian Stuart folgende Aussage zu: »Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näherzubringen, besser, als dies in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden.« Mal abgesehen davon, dass Rock unter jungen Leuten allgemein beliebt ist, weckt Musik generell Emotionen. Und auf dieser Gefühlsebene erreichen politische Botschaften in | 83 | Liedform das Publikum. Eine Erfolgsstrategie, die Nationalisten in Ungarn, Italien und anderswo übernommen haben. Die Neonazi-Szene hat sich in der Bundesrepublik und in Europa zu einer Massenbewegung entwickelt. Zu manchen Rechtsrockkonzerten kommen mehrere tausend Besucher.
In Deutschland soll sich anno 1993 eine B&H-Division gegründet haben. Die letzte Ausgabe ihres gleichnamigen Magazins, die Nummer 9, war die erste, die ich bei meinen Recherchen in die Finger bekommen habe – obwohl das Bundesamt für Verfassungsschutz davon ausging, dass die Polizei die Verbreitung »weitgehend unterbinden« konnte. Das Heft aus dem Jahr 1999 und die eingelegte Promo-CD schienen strafrechtlich relevant zu sein. Aus journalistischer Perspektive also eine Rarität. Wobei in meiner Ausgabe die CD fehlte.
Die Ermittler waren nicht nur wegen dieses Magazins, sondern auch wegen anderer Schriften und der zunehmenden Konzerte auf Blood & Honour aufmerksam geworden. 1999 verzeichnete der Verfassungsschutz zwar einen Rückgang der Skinhead-Konzerte in Deutschland auf 109 (Vorjahr: 128), aber eine steigende Teilnehmerzahl. »Das mit
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