Blut muss fließen
Strategie, rassistische Ideologie mit Musik zu transportieren | 77 | | 78 |
»No surrender«, brüllt ein britischer Skinhead ins Mikrofon, bei dem altersbedingt nicht so ganz klar ist, was rasiert und was Naturglatze ist . Aus der tobenden Menge schallt es gleich einem Echo zurück: »We never surrender« – wir geben niemals auf.
Ken McLellan, der Mann auf der Bühne, hat nie aufgegeben. Er ist ein Veteran der White-Power-Bewegung, auch wenn oberhalb seiner Hüfte nicht mehr viel weiße Haut zu sehen ist. Volltätowiert bis unters Kinn und durchtrainiert, verkörpert er immer noch den Prototypen eines Skinheads. Seit 1980 tourt er mit seiner Band »Brutal Attack«. Im Jahr 2013 feiert er 50. Geburtstag. Er ist eine Art Rolling Stone der Neonazi-Szene.
Diesen Stein ins Rollen gebracht hat ein ehemaliger »Stones«-Fan: Ian Stuart Donaldson, Sänger der Skinhead-Band »Skrewdriver«. 1987 gründete der britische Rechtsrockstar das Neonazi-Netzwerk Blood & Honour (B&H). In einem Interview mit der Zeitung Independent soll er gesagt haben (zitiert nach Stuart-Biograf Paul London): »Musik ist eine potenzielle Kraft, um Nachrichten zu übermitteln. Und ich glaube, dass wir diese europaweit einsetzen sollten.«
Schon zu Lebzeiten war Ian Stuart drauf und dran, dieses Ziel zu erreichen – spätestens posthum ist es ihm gelungen. Heute gibt es Divisionen und Sektionen von Blood & Honour fast überall in Europa, sogar weltweit. Eine Division repräsentiert die Organisation in der Regel innerhalb eines Staates, Sektionen sind die regionalen Untergliederungen – fast überall dort, wo Rassisten mit weißer Hautfarbe nach Noten des Hasses musizieren. Immer im Herbst gedenken sie ihres Idols mit Memorial-Konzerten: in Europa, aber auch in Australien und Amerika. Der Mutterdivision ist das Wochenende vorbehalten, das dem Jahrestag seines Todes – dem 24. September 1993 – am nächsten liegt. | 79 |
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Von seiner weißen Hautfarbe ist auf dem tätowierten Oberkörper nicht viel übrig geblieben: Ken McLellan, Sänger der Band »Brutal Attack«, ist ein Veteran der Blood & Honour-Bewegung.
Von Anfang an bei B&H dabei war Ken McLellan mit seiner Band »Brutal Attack«, die bei den Memorials auf der Insel Stammgast ist – so auch am 23. September 2006. Ich war schon bei einigen Gedenkkonzerten dieser Art gewesen, ehe ich gen England aufbrach. Und ich stellte fest, dass in Ian Stuarts Heimat einiges anders läuft als auf dem europäischen Festland. Das begann schon am konspirativen Treffpunkt, bei dem es sich nicht um den hintersten Winkel eines Autobahnrastplatzes handelte, sondern um einen Pub. Dort kamen die Skinheads zu einem ersten Bier zusammen. Einer der Gastgeber begrüßte mich per Handschlag und erkundigte sich nach meinem Wohlbefinden. Eine halbe Stunde später ging’s raus auf den Parkplatz. Die Autos formierten sich zur Kolonne – ein B&H-Schleuser fuhr vorweg zum Konzertort, einem Campingplatz nördlich von London, ungefähr auf der Höhe von Birmingham. Den genauen Ort weiß ich nicht mehr. Mir ist der Notizzettel abhandengekommen, auf den ich unterwegs flüchtig den Ort gekritzelt hatte. | 80 |
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Eine CD des internationalen Blood & Honour-Netzwerks, die nach dem Verbot der deutschen Division herausgekommen ist – trotzdem haben deutsche Neonazi-Bands Lieder auf diesem Tonträger veröffentlicht: Neubeginn, Race War und Rassen Hass.
Mit rund 400 Leuten handelte es sich um das kleinste Ian-Stuart- Memorial, das ich je erlebt habe – und um das mit dem höchsten Altersdurchschnitt. Es schienen viele ehemalige Weggefährten des verstorbenen Rechtsrockstars angereist zu sein, teilweise sogar Familien mit Kindern. Und das Publikum war international wie selten einmal. Das war nicht nur den T-Shirt-Aufdrucken zu entnehmen und an den Sprachen zu hören, sondern auch am Verkaufssortiment der Händler zu sehen. Auf ihren Tischen fand sich eine portugiesische Ausgabe des B&H-Magazins genauso wie eine Propagandaschrift über die »Judenfrage« Italiens: The Jewish Question in Italy. Die Wände des Konzertzelts waren mit Hakenkreuz- und SS-Fah | 81 | nen tapeziert sowie mit den Bannern verschiedener Divisionen und Sektionen von Blood & Honour – praktisch ganz Europa zeigte hier Flagge.
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Ziemlich zugedröhnt, nicht nur von der Musik, war dieses Skingirl beim Ian-Stuart-Donaldson-Memorial am 23. September 2006 in England.
Das
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