Blut muss fließen
Einstellungen verlassen zu können. Zwar sah sich die Polizei zuweilen veranlasst, ihn vor einem Konzert aus dem Verkehr zu ziehen und/oder CDs von ihm einzubehalten – juristische Folgen hatte das für Kalmus in den mir bekannten Fällen aber nicht. Er konnte mit seinem Sortiment quer durch Europa reisen und bei einschlägigen Konzerten CDs und T-Shirts verkaufen. Zum Beispiel am 11. Dezember 2004 im belgischen Broechem. Diesen Gig hatte augenscheinlich der militante B&H-Ableger Combat 18 mitorganisiert – Kalmus kam im »Blood & Honour Ostdeutschland«-Shirt. Für das zuständige Landesamt für Verfassungsschutz war das abermals kein Thema. Nur so viel: »Bis heute sind Verbindungen zwischen ehemaligen Mitgliedern früherer B&H-Sektionen festzustellen.« Baden-Württemberg sei davon in der Grenzregion zu Rheinland-Pfalz »berührt«. An dieser innerdeutschen Ländergrenze ist Belgien allerdings noch weit .
Ich traf Kalmus in England sowie wiederholt in Belgien, Italien und in der Schweiz – durchweg bei Konzerten mit B&H-Bezügen. Finanziell florierte sein Geschäft. Zweimal konnte ich mit der versteckten Kamera in Nahaufnahme dokumentieren, wie die Euro-Scheine aus seinem Geldbeutel quollen.
Virtuell war der Skinhead zu einem guten Bekannten von mir ge | 88 | worden. Ich hielt mit mehreren Pseudonymen zu ihm Kontakt, teilweise über Jahre hinweg. Dabei offenbarte er mir auch seine rassistische Einstellung. So teilte er mir beispielsweise mit, dass er an der CD Die besten Soldaten nur Produktionsrechte erworben habe: »Mit den Liedern an sich oder mit den Bands hatte ich nichts mit zu tun. Ansonsten wären auch keine Polacken auf dem Sampler drauf.« Die Polen sind insbesondere unter deutschen und österreichischen Neonazis umstritten. Wahrscheinlich, weil sie von manchen Rassisten als Untermenschen betrachtet werden. Das führt bei internationalen Rechtsrock-Events immer wieder zu Schlägereien mit »Polacken«. Ich habe das am 11. Dezember 2004 und am 27. Oktober 2007 in Belgien erlebt, wo meine Karlsruher Internetbekanntschaft jeweils mit seinem Verkaufsstand vertreten war.
Hartwin Kalmus informierte mich nicht nur über die Szene, sondern auch über sein Privatleben. Der Kickboxer klagte mir beispielsweise sein Leid, als er sich »im Sparring nen Kreuzbandriss, nen Kapselriss und nen Meniskusriss zugezogen« hatte. Überhaupt schien es für den Privatmann Hartwin nicht so gut zu laufen wie für den Neonazi Kalmus. Er erzählte mir von einem Autounfall, der ihm einen wirtschaftlichen Totalschaden beschert hatte. Von seiner Diplomarbeit, auf die er sich in der hochsommerlichen Hitze seiner »kaum gedämmten Dachgeschosswohnung« vorbereiten musste. Von seinen Bewerbungen ein rundes Jahr später, während er noch auf sein Fachhochschulzeugnis warten musste, das ihn zum Bauingenieur machen sollte.
Und Anfang 2004 meldete er mir einen Trauerfall: »Ein Bekannter von mir wurde erschossen.« Wer war dieser Bekannte? »Er war nen ziemlich hohes Tier bei den Hells Angels, ein Mensch mit zwei sehr unterschiedlichen Gesichtern. Aber eben auch jemand, der jeden stets mit Respekt behandelt hat.« Eine Nachricht der Karlsruher Online-Tageszeitung Ka-News scheint diesen Vorfall zu bestätigen: »Am 9. Januar 2004 wird der ehemalige Präsident der Karlsruher Sektion der Rockergruppe Hells Angels Helmut ›Miko‹ Mikolajek am helllichten Tag in einem Café in der Karlsruher Innenstadt erschossen.«
Kalmus hatte übrigens – für einen Neonazi-Versandhandel un | 89 | gewöhnlich – das Rocker-Buch Sonny Barger. Mein Leben als Hells Angel im Programm.
Gegenüber einer Skingirl-Identität von mir wurde Kalmus sogar intim: »Bin solo und daher momentan weder einer Affäre noch einer echten Beziehung abgeneigt, aber trotzdem sollte wohl zwischen Männlein und Weiblein etwas mehr Sympathie und Gefallen vorhanden sein, als dass man aufgrund von ein paar Mails gleich losbaggern müsste.« Diese Haltung ehrte ihn fast schon – in einer Szene, in der auf drei Jungs nur ein »Mädel« kommt. Manche »Kameraden« waren deshalb weniger zurückhaltend, wenn sie mit weiblichen Pseudonymen von mir konfrontiert waren. So fragte mich ein Mannheimer Musiker, der im Knast wohl zusätzlich unter Frauenmangel gelitten hat, bereits nach den ersten Mails nach meiner Körbchengröße … Meine Antwort: »75 D.« Er wollte mich danach unbedingt treffen und schickte mir Konzerthinweis um Konzerthinweis.
An den ehemaligen
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