Blut muss fließen
›Division 28‹ ebenso wenig feststellen können wie die Einbindung früherer Führungskader von Blood & Honour.«
Ein paar Monate später, am 4. November 2004, bekamen mehrere meiner Internet-Pseudonyme folgende Einladung per E-Mail zugeschickt: »Konzert am Samstag, den 6. November im Raum Franken mit ›Tollschock‹, ›Faustrecht‹, ›Skull‹ und ›Mistreat‹. Infos ab dem 6.11 unter 0160.« – und so weiter. Absender war der Ragnarök-Versand, betrieben von Hartwin Kalmus, der als ehemaliger Führungskader des verbotenen Neonazi-Netzwerks gilt. Er war bei dem beworbenen Konzert im fränkischen Ebersdorf nahe Coburg mit seinem Verkaufsstand vertreten, an dem er Hunderte von CDs anbot. Für den Nachschub an Verpflegung, den Saalschutz sowie für das leibliche Wohl der Besucher sorgten einmal mehr die Skinheads der Division 28 Deutschland. Die Polizei sah sie Bierkästen über den Hof tragen, griff aber nicht ein. Sogar einen Besucher, der ausweislich seines T-Shirts zu Blood & Honour Thüringen gehörte, konnte ich mit meiner versteckten Kamera dokumentieren. Und die üblichen Straftaten im Saal: Hitlergrüße. Aber die konnte die Polizei nicht sehen, weil sie sich – strategisch unzureichend – auf der Straße postiert hatte. | 86 |
Defensiv zu Werke ging auch das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg, wenn es sich um Hartwin Kalmus handelte, der dem damals stellvertretenden Behördenchef immerhin als Vizeführer der B&H-Sektion Baden bekannt war. Nach deren Verbot machte Kalmus einfach weiter, was er zuvor gemacht hatte und wofür Blood & Honour bekannt ist: Er handelte mit einschlägigen Tonträgern, er mobilisierte zu Neonazi-Konzerten und er organisierte sie – zum Beispiel am 4. Oktober 2003 ein Memorial zu Ehren von Ian Stuart im Elsass, von dem er später eine Live-CD veröffentlichte.
Nachfrage beim Stuttgarter Verfassungsschutz: »Haben Sie Erkenntnisse darüber, dass ehemals führende B&H-Leute (zum Beispiel Sektionsleiter, stellvertretende Sektionsleiter oder ähnliche Ränge) – auch aus Baden-Württemberg – nach wie vor das tun, was B&H vor dem Verbot in Deutschland gemacht hat?« Die Antwort: »Die Frage wird unter Rücksichtnahme auf nachrichtendienstliche Belange nicht beantwortet.« Im Übrigen habe der Bundesinnenminister diese Organisation verboten: »Insoweit werden mögliche Nachfolgeaktivitäten auch von diesem zentral bewertet. […] Wir sehen uns nicht in der Lage, weitere Informationen zu übermitteln, und bitten hierfür um Verständnis.« Das Bundesamt für Verfassungsschutz hatte bereits Anfang 2003 erklärt: »Soweit ehemalige Mitglieder von Blood & Honour nach dem Verbot Konzerte organisieren, sind diese überwiegend nicht als Nachfolgeaktivitäten zu werten.«
In seinem Verfassungsschutzbericht 2003, Redaktionsschluss war im Mai 2004, stellte das Baden-Württemberger Landesamt fest: »Bis heute bestehen Verbindungen zwischen ehemaligen Mitgliedern verschiedener früherer B&H-Sektionen auf privater Ebene weiter. Baden-Württemberg ist davon in der Grenzregion zu Rheinland-Pfalz berührt, wo ehemalige Angehörige der B&H-Sektionen Baden und Pfalz regelmäßig Kontakt halten und gemeinsame Veranstaltungen organisieren.« Von Nachfolgebestrebungen war keine Rede, vom Ian-Stuart-Memorial des Hartwin Kalmus ebenfalls nicht.
Das kam mir merkwürdig vor. Ich begann, mich mit Kalmus näher zu beschäftigen, und fand heraus, dass sein Weg von einge | 87 | stellten Ermittlungsverfahren gesäumt ist. So musste im Prozess gegen die Mannheimer Skinhead-Band »Bosheit«, der bereits im Jahr 2001 stattgefunden hatte, der ehemalige B&H-Sektionsführer Achim Pfeifer die Anklagebank drücken – anwaltlich vertreten von »Ultima Ratio«-Sänger Alexander Heinig. Der Verdacht lautete, dass Pfeifer ein Neonazi-Konzert im Badischen organisiert haben könnte, bei dem das strafbare Lied Blut gespielt worden sein soll: »Wetzt die langen Messer auf dem Bürgersteig, lasst die Messer flutschen in den Judenleib …« Während der Beweisaufnahme entstand jedoch der Eindruck, dass es auch Hartwin Kalmus gewesen sein könnte, der das Konzert organisiert hat. Er war jedoch nicht einmal als Zeuge geladen – er saß im Publikum. Ein nachträglich gegen ihn eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde von der Karlsruher Staatsanwaltschaft eingestellt – wie andere auch.
In anderen Bundesländern schien sich der ehemalige B&H- Funktionär ebenfalls auf
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