Blut muss fließen
dieses Urteil zustande kam, darüber konnte ich mich leider nur aus zweiter Hand informieren – aus Zeitungsartikeln. Denn sol | 73 | che Gerichtsrecherchen waren für mich aus taktischen Gründen zu gefährlich. Sonst hätte es mir passieren können, dass ich bei späteren Konzerten wiedererkannt worden wäre. Ich hatte mich bewusst für das Mittel der verdeckten Recherche entschieden, und das ließ keine Rollenwechsel zu. Schließlich suchte die Szene mit immer | 74 | größerer Finesse nach dem unbekannten Video-Kameraden. Beim »Noie Werte«-Konzert in Italien musste ich beispielsweise im Eingangsbereich eine Leibesvisitation über mich ergehen lassen und ein paar Meter dahinter erwartete mich der Sicherheitsdienst mit einem Metalldetektor. Diese doppelte Kontrolle genügte aber nicht, um meine damals bereits perfektionierte, das heißt minimierte Videoausrüstung zu finden.
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»Noie Werte«-Sänger Steffen Hammer in Aktion, auf dem Titel von »Rock Nord«, einem Hochglanzmagazin der Rechtsrockszene.
»Ultima Ratio« werde ich nicht mehr filmen können – von der Band ist seit Jahren nichts mehr zu hören. »Noie Werte« habe ich viermal live gesehen, und nach ihrer Auflösung frage ich mich, wie die Musiker jetzt ihren Hass loswerden. Hatten sie doch dem Magazin Rock Nord offenbart: »Musik ist für uns ein wunderbares Ventil, um all den Frust und den Hass loswerden zu können, der in uns herrscht.«
Zusätzlichen Frust dürften die singenden Rechts-Anwälte Ende 2011 empfunden haben, als ihre Kanzlei H3 bundesweit bekannt wurde – nicht nur wegen des NSU-Bekennervideos mit »Noie Werte«-Musik, sondern auch dank Nicole Schneiders. Kompagnon Klaus Harsch hatte das frühere NPD-Mitglied als Anwältin in die Gemeinschaftskanzlei eingebracht. Sie übernahm die Verteidigung des ehemaligen NPD-Funktionärs Ralf Wohlleben, als jener in den Verdacht geraten war, die Terroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds unterstützt zu haben.
Harsch, ein CDU-Mann, stieg in Folge der Medienberichterstattung bei H3 aus. Und er trennte sich von seiner Angestellten: »Aufgrund des enormen öffentlichen Druckes sehe ich mich gezwungen, meiner Mitarbeiterin, Frau Rechtsanwältin Nicole Schneiders, unter Einhaltung der gesetzlichen Fristen zu kündigen.« Eine schöne Bescherung, zwei Tage vor Heiligabend. Inzwischen firmieren Heinig & Hammer als »Rechtsanwälte in Bürogemeinschaft«.
Auch an Oliver Hilburger gingen die NSU-Ermittlungen nicht spurlos vorbei. »Dass die Täter der Zwickauer Zelle zwei Lieder der Gruppe, in der ich mitgewirkt habe, verwendet haben, lässt mich nicht unberührt«, schrieb er am 18. Dezember 2011 in einer Pressemitteilung, die er als Daimler-Betriebsrat veröffentlichte. Er wolle »zum Ausdruck bringen, dass die Morde der sogenannten Zwi | 75 | ckauer Terrorzelle an unseren Mitmenschen einen abscheulichen Akt der Unmenschlichkeit darstellen«. Und er hoffe, dass alle Beteiligten »ihrer gerechten Strafe zugeführt werden« könnten: »Den Angehörigen der Opfer gehört mein Mitgefühl.« Staatliche Stellen hätten »nicht nur gänzlich versagt«, sondern »womöglich tief in einem Sumpf aus Verstrickungen aller Art« gesteckt.
Bei seiner Amtsenthebung als ehrenamtlicher Arbeitsrichter will er erkannt haben, dass seine Eigenwahrnehmung »mit dem von anderen gezeichneten Bild«, was sein Mitwirken bei »Noie Werte« betreffe, »nicht im Einklang stand«. Diesem Bild habe er nicht entsprechen wollen und deshalb einen Schlussstrich gezogen, erklärte das ehemalige Bandmitglied. Durch die »große Unterstützung meiner ausländischen Kollegen bei Daimler« habe er »gelernt, wie wichtig es in meinem Leben war, erkennen zu dürfen, dass wir nur gemeinsam eine Zukunft haben«.
Von Hammer und Heinig sind solche Stellungnahmen nicht bekannt. Es ist zu vermuten, dass sie die Ideale von Ian Stuart Donaldson weiterverfolgen werden: statt auf den Neonazi-Bühnen Europas eben in deutschen Gerichtssälen. Ihre politisch geprägten Biografien zeigen, dass öffentlicher Druck nicht ausreicht. Als Ultima Ratio gegen Neonazis hilft nur eine überzeugende Politik der Demokraten. | 76 |
Kapitel 5
FÜR BLUT UND EHRE
»Ein Flugblatt wird nur einmal gelesen, aber ein Lied wird vom tiefsten Herzen heraus gelernt. Das wiederholt sich tausende Male.«
Ian Stuart Donaldson, der »Skrewdriver«-Sänger und Gründer des Neonazi-Netzwerks Blood & Honour, über seine politische
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