Blut muss fließen
weitreichende Auswirkungen haben, wenn staatliche Behörden die Informationen daraus | 170 | wie in Hessen nutzen und sie nicht wie in Bayern ignorieren. Und würde die Polizei mit verdeckten Videoermittlern eine ähnliche Arbeit leisten wie ich, könnte sie überall in Deutschland und vielerorts in Europa Nazi-Konzerte auflösen und verhindern.
Die Vorgeschichte des Kirtorfer Falls sensibilisiert allerdings für eine weitere mögliche Schwachstelle im Staatsapparat: die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Dass die Versammlungsfreiheit ein hohes demokratisches Gut ist und Demonstrationen daher nur schwierig zu verbieten sind, das steht außer Frage – fragwürdig ist hingegen der demokratische (Stellen-)Wert eines Nazi-Konzerts. Fakt ist: Es gibt Verwaltungsgerichte, die dafür sorgen, dass Nazi-Konzerte stattfinden können, nachdem sie von den zuständigen Ordnungsbehörden verboten worden sind.
Ich habe ein solches Konzert besucht: am 6. Juni 2009, in der Alten Skatklause in Zeitz (Sachsen-Anhalt). Angekündigt waren »Blutrache«, »Isolfur« und »Nordglanz«, drei Black-Metal-Bands, wovon ich »Nordglanz« als einschlägige Gruppe bereits kannte.
Das städtische Ordnungsamt hatte am 28. Mai 2009 ein Verbot erlassen: »Es ist nicht auszuschließen, dass unter Alkoholkonsum durch Aktivitäten bei den Besuchern das Nazi-Regime verherrlicht wird.« Die Stadtverwaltung hatte recherchiert, dass »Nordglanz« in seinen Liedern beispielsweise Krieg und Nazigrößen glorifiziert, bestehende Staatsgrenzen in Frage stellt (Oberschlesien) und Widerstandskämpfer gegen das Naziregime verunglimpft (Weiße Rose) . Daher sei anzunehmen, dass bei dem Konzert »auch indiziertes Liedgut gespielt wird«. Erfahrungsgemäß sei davon auszugehen, »dass, bedingt durch die harte Spielart der angezeigten Bands und deren Texte in Verbindung mit erhöhtem Alkoholkonsum, gleichgesinnte und rechtsorientierte Ideologien offen bekundet werden«. Dazu zählte die Verwaltung Straftatbestände wie Verunglimpfungen, die öffentliche Aufforderung zu Straftaten, Volksverhetzung und die »Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen«.
Der Konzertanmelder Benjamin Schneider, bei dem es sich nach Erkenntnissen der Stadt Zeitz um den Schlagzeuger der Band »Blutrache« und Frontmann der Band »Permafrost« handelte, legte gegen diese Verbotsverfügung Widerspruch ein. Und das Verwaltungsge | 171 | richt Halle stellte am 4. Juni 2009 »die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen die Verfügung der Antragsgegnerin wieder her«. Aus dem Juristendeutsch übersetzt: Das Konzert durfte stattfinden. »Denn es ist davon auszugehen, dass in einem Hauptsacheverfahren über eine gegen die Verbotsverfügung vom 28. Mai 2009 gerichtete Anfechtungsklage diese Verfügung aufgehoben wird, da sie bei dem gegenwärtigen Prüfungsstand rechtswidrig ist und den Kläger auch in seinen Rechten verletzt.« Die in der Verbotsverfügung dargelegten Gefahrenlagen für die öffentliche Sicherheit seien nicht »mit der erforderlichen Nachvollziehbarkeit« ersichtlich.
»So reicht die bloße Tatsache des Auftritts der Musikgruppen ›Nordglanz‹, ›Isolfur‹ und ›Blutrache‹ schon deshalb nicht aus, weil hierfür Umstände vorgetragen werden müssten, die darauf hinweisen, dass diese Gruppen unbeirrt von entsprechenden Sanktionen (Verbotsverfügungen, Strafverfahren, et cetera) durch das Strafgesetzbuch verbotenes Liedgut vortragen. … Der Hinweis auf Prügeleien und ausfallendes Verhalten von Gästen nach Alkoholgenuss führt ebenfalls nicht weiter. Selbst wenn solche Dinge zu erwarten wären, ist nicht ohne weiteres ersichtlich, dass hierfür ohne weiteres der Antragsteller verantwortlich zu machen wäre.«
Also kann der Organisator eines Nazi-Konzerts nicht damit rechnen, dass ein Besucher die Hand zum Hitlergruß hebt, oder wie? Die richterliche Argumentation mag juristisch korrekt gewesen sein. Aber sie ist zugleich weltfremd. Gegen Störer könne »im Regelfall mit einfachen polizeilichen Mitteln bis hin zur Auflösung der Veranstaltung vorgegangen werden«, meinte das Verwaltungsgericht Halle – »je nachdem, wie sich die Einsatzlage für die Polizei auf der Grundlage einer verantwortungsbewussten Lagebewertung in der konkreten Situation stellt«. Frei nach dem Motto: Mit Straftaten ist bei einem Nazi-Konzert nicht zu rechnen – sollte es doch welche geben, soll halt die Polizei einschreiten und sich womöglich mit
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